Am 30.1. gaben die Neo-Sludger mit reichlich Crust- und Black-Metal Einschlag PHANTOM WINTER aus Würzburg ihr Live-Debüt. Andreas Schmittfull und Christof Rath kennt man noch aus OMEGA MASSIF-Zeiten (R.I.P), die mit ihrem gefeierten Weltuntergangs-Post-Metal zu Kritiker- und Szenelieblingen avancierten. Ihre beiden übergroßen Alben „Geisterstadt“ und „Karpatia“, beide via Denovali Records vertrieben, sind längst Klassiker der Szene. Doch getreu dem Motto „Der König ist tot, lang lebe der König“, soll es nicht das letzte musikalische Zeichen der beiden Musiker gewesen sein. Für Ende April ist das erste PHANTOM WINTER-Album „ Cvlt“ der Band via Antenna Records angekündigt. Zusammen mit ihren Mitstreitern Martin Achter (LIFE OF AN OWL), Christian Krank (talentierter Comic-Zeichner, checkt mal TALES OF DEAD EARTH) und David Schneiker (BAIT, THOREAU) widmen sie sich fortan der drückenden Gute-Nacht-Musik für Grönland-Fans und allen „Meine Lieblingsfarbe ist schwarz“-Verfechtern. Harter Tobak. Kathartische Gitarrenwände mit extrem, verzerrten Vokals, präsentiert in tiefster Dunkelheit und monolithischem Wall-Of-Sound. Das macht bereits jetzt Lust auf die Platte. Vor ihrem gelungenen Einstand im Würzburger Immerhin gaben Andreas und Christof dem BLACK noch ein Interview zum Status-quo der Band.
? Guten Tag die Herren, schön dass ihr Zeit für BLACK gefunden habt. Mit OMEGA MASSIF habt ihr im letzten Jahr die Speerspitze des deutschen Post-Metals/Doom zu Grabe getragen. Dafür ist mit eurem Nachfolgeprojekt PHANTOM WINTER ebenbürtiger Ersatz vorhanden. Bitte erklärt doch im Kurzen das konzeptionelle Gerüst hinter der Band. Welche Ideologien verfolgt ihr innerhalb der Musik und wie positioniert ihr euch politisch?
Andreas: “Danke für die Blumen! Konzeptionell handelt es sich wohl um „alte, stumpfe Omega Massif mit Gesang“. Ideologien fand ich schon immer eher bescheiden.”
Christof: “Freut mich, dass dir Phantom Winter gefällt. Warum es PHANTOM WINTER in dieser Form gibt? Weil Andi und ich einfach zusammen weiter Musik machen wollten, die genau so klingt, wie unsere erste Platte.”
? Möglicherweise ist jetzt die Zeit gekommen, noch einmal über den Split von OMEGA MASSIF zu sprechen. Gab es nach musikalischen Differenzen nicht doch noch einmal dem Moment weiterzumachen? Die innere Größe war schließlich vorhanden. Anders gefragt: Ist es realistisch in naher/ferner Zukunft mit einem Comeback zu rechnen?
Andreas: “Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Nach neun Jahren war das Ding wohl ausgereizt. Die Band ist Geschichte und es wird sie nicht mehr geben. Comeback: nö.”
Christof: „Die Entwicklung der Band über die Jahre hat einfach zu diesem Ende geführt. Ich find’s geil, dass ich selbst sagen kann, wir haben nie ein Scheißalbum veröffentlicht. Ansonsten kann ich Andi nur recht geben, ein Comeback ist auszuschließen.”
? Mit PHANTOM WINTER schlagt ihr fortan einen brachialeren, düsteren, kakophonischeren Sludge-Sound an. Als Artverwandte fallen mir hier PLANKS, DOWNFALL OF GAIA, LENTO und natürlich die Meister des Genres NEUROSIS ein? Welche musikalischen Einflüsse sind bei euch stilprägend oder beeinflussen den Songwriting-Prozess?
Andreas: “Hm. Ich kenne DOWNFALL OF GAIA und LENTO vom Namen her, die Musik habe ich ehrlich gesagt noch nicht gehört. PLANKS waren musikalisch vielleicht auf eine gewisse Art und Weise verwandt, weil Ralph und ich eine sehr ähnliche musikalische Sozialisation genossen haben. Ich vielleicht etwas mehr Thrash/Heavy Metal als er. Was ich weiß ist, dass bei Ralph die Musik genauso aus dem Herzen kommt, wie bei mir. Neurosis ist bestimmt auch ein Verwandter, irgendwie. Es gab Zeiten, da habe ich „Through Silver in Blood“ rauf und runter gehört. Ich habe vor kurzem auf einem netten Blog namens „7trax“ sieben Songs beschrieben, die mich in diese Richtung beeinflusst haben. Da waren zum Beispiel ACME, HÜSKER DÜ, FAITH NO MORE und MAJORITY RULE dabei. CELTIC FROST nicht zu vergessen! Es gibt so viel, was mich beeinflusst. ENNIO MORRICONE mit Sicherheit auch.”
Christof: „Wie immer kenne ich die meisten Bands nicht, mit denen wir verglichen werden. Einen direkten Einfluss einer Band wie NEUROSIS würde ich sogar eher verneinen. Für mich sind es eher Sachen wie PJ HARVEY oder Zeugs wie HELLHAMMER/CELTIC FROST, die mich musikalisch geprägt haben.“
? Gerade spaltet sich Deutschland auf Grund der PEGIDA-Debatte. Entfremdungsängste sowie neonazistischen Tendenzen sind wieder verstärkt zu beobachten. Wie schätzt ihr das Phänomen ein und wie positioniert ihr euch hierzu mit der Band. Dass der rechte Rand auf euren Konzerten keinen Platz hat, sehe ich als selbstverständlich an. Dennoch wäre es mir wichtig, wenn ihr angesichts der aktuellen Polemik ein paar Worte zum Thema verlieren könntet. Gerne auch zur Sachlage in eurer Heimatstadt Würzburg.
Andreas: „Gruselig ist das, Rostock – Lichtenhagen war wohl kein „Ausrutscher“ der Deutschen, Fremdenfeindlichkeit, scheint in allen gesellschaftlichen Schichten tief verankert zu sein. Da ist es gut zu sehen, dass es viele Menschen gibt, die diese Bewegung nicht dulden wollen, auch bei uns in Würzburg!“
Christof: „Ich denke hier an meine Arbeitskollegen, die sich sonst politisch eher nicht äußern oder auch eher im Mainstream mitschwimmen, aufgrund der aktuellen Debatte über PEGIDA aber wohl auch mal über Themen wie Ausländerfeindlichkeit nachdenken und sich jetzt eben positionieren. Wenn das Politische quasi aus dem Privaten in den öffentlichen Diskurs gelockt wird.“
? Welche Rolle spielt eure Heimatstadt Würzburg für euch persönlich, aber auch musikalisch? Das letzte Projekt, welches aus Würzburg auf sich aufmerksam machen konnte, sind die melodischen Black Metaller von DER WEG EINER FREIHEIT. Wie charakterisiert ihr die Subkultur in Würzburg? Kann man dort von „aktiven Strukturen“ sprechen?
Andreas: „Es gibt da natürlich was. Ich würde mich aber darüber freuen, wenn es wieder mehr Menschen geben würde, die subkulturell aktiv wären. Da könnte wesentlich mehr gehen, vor allem, wenn man bedenkt, dass es hier über 30.000 Studenten gibt. Da müsste eigentlich Potential vorhanden sein. Aber das ist sehr verhalten. Es gibt hier tolle Konzertgruppen, die viel Underground veranstalten, aber Konzerte mit unter 20 Besuchern sind keine Seltenheit. Das verstehe ich nicht so ganz. Underground ist bei uns halt noch richtiger Underground (lacht).“
? Ich wage jetzt mal die These, dass ihr als eine ästhetische Band angesehen werden wollt, die Wert auf einen spirituellen Auftrittsort legt. Ist euch die Magie einer Location wichtig?
Andreas: „Oft kann man sich das nicht so heraussuchen. Wir fangen ja auch erst an, mit Phantom Winter zu touren. Beim Selektieren geht es eher darum, dass man mit keinen NSBMlern oder sonst was auftritt. Aber es gibt natürlich Orte, an denen ich gerne mal spielen würde. Irgendwo gibt es eine Höhle, in der man spielen kann. Das würde mich reizen. Aber generell ist es mir eher wichtig, dass der Laden authentisch ist und nicht zu sauber geleckt.“
Christof: „Live spielen ist ja auch immer eher dreckig. Ich finde es immer gut, wenn die Verbindung zum Publikum möglichst direkt ist und die Energie von den Leuten wieder zurückkommt. Totale Stille in den Pausen ist für mich eher schwierig.“
Christian: „Drei von uns sind Familienväter und ich, zum Beispiel, muss auch alle zwei Wochenenden arbeiten. Da ist es mehr der zeitliche Faktor, der uns selektieren lässt. Im Moment haben wir, glaube ich, 16 Tourdates, das ist schon recht viel.“
? Sind PHANTOM WINTER auch mit Literatur in Verbindung zu bringen? In eurem Song WINTERCVLT zitiert ihr beispielsweise Edgar Alan.Poe? Wer sind hier eure geistigen oder lyrischen Vorbilder?
Andreas: „Die Liste wäre unendlich lang. Ich lasse mich von einer Menge inspirieren. Das können „Updike“ oder „Pynchon“ sein, die Jugendlichen aus „The Breakfast Club“, oder Walter Benjamin, das ist ganz unterschiedlich. Oft sind es auch einfach Freunde, die mich inspirieren. Die Inspiration scheint überall zu lauern.“
? Mit eurer Labelwahl GOLDEN ANTENNA seid ihr in illustrer Gesellschaft mit subkulturellen Szene-Größen wie DATURAH, PLANKS, O oder JUNIUS. Was hat eure Entscheidung zur Wahl des Labels beeinflusst und wie verläuft die konkrete Zusammenarbeit?
Andreas: „Timo kenne ich schon wirklich lange und wir wollten schon immer mal was zusammen machen. Und so hat sich das dann ziemlich schnell ergeben. Das ist dann so eine Mischung aus lustigem Gestichel, wahnwitzigem Hin- und Hergeschreibe und professionellem Vorgehen. Timo arbeitet mit Magnus von „Creative Eclipse PR“ zusammen, das ist natürlich super. Über den läuft dann sehr viel. Aber sowohl Timo als auch wir machen das als „Hobby“, was für uns genau passend ist. So gibt es keinen unnötigen Druck, außer den, den man sich selbst macht.“
? OMEGA MASSIF waren eine Band, bei der es leicht war, das Gesamtkunstwerk zu erfassen, hattet ihr doch immer die Vertonung massiver Bergwelten und die naturalistische Komponente einer kargen, fernen Waldlandschaft im Fokus. Welches Bild habt ihr, wenn ihr die Musik von PHANTOM WINTER in ein imaginäres Szenario transformieren könnt?
Andreas: „Die Musik ist vom jeweiligen Text abhängig. Von Grund auf verbinde ich mit Phantom Winter eine absolut positive Grundhaltung, auch wenn sich das oberflächlich betrachtet vielleicht seltsam anhört. Ein für mich sehr wichtiger Text auf dem Album handelt vom deutschen Umgang mit dem Holocaust in der Vergangenheit und heute. Dieser scheint von Grund auf die deutsche Bevölkerung zu spalten. Was aber aktuell, zum 70-jährigen „Jubiläum“ der Befreiung von Auschwitz-Birkenau, ans Tageslicht kommt, ist purer Antisemitismus. Die Kommentare zur aktuellen Spiegel-Ausgabe, in der 19 Auschwitz-Überlebende portraitiert werden, belegen dies beispielsweise. Wenn einer schreibt, man „müsse doch langsam auch mal mit der Vergangenheit abschließen“, ist das noch das Harmloseste, was das Volk da von sich gibt. Ich möchte hier gar nicht mehr wiederholen, was da geschrieben und gedacht wird. Und dieser besagte Song ist gegen das Vergessen und macht klar, dass es Menschen gibt und immer geben wird, die den Holocaust niemals vergessen werden. Das klingt auf der Bühne oder von Platte sehr negativ, denn man ist erschüttert und zornig über das, was man über den Holocaust liest und hört, ist aber in seiner Grundmotivation ganz anders. Niemals vergessen, damit sich die Vernichtung von Millionen von Menschen nicht wiederholen wird.“
? Noch ein Wort zu eurem stimmungsvollen Artwork? Wer war der Künstler dahinter und wie ist die Zusammenarbeit entstanden?
Andreas: „Wir arbeiten wieder mit Oliver Hummel von Hummelgrafik zusammen. Er ist einer meiner besten Freunde und hat auch schon immer das Omega Massif – Artwork gemacht. Ich habe mich bei CVLT diesmal um alles „Schriftliche“ gekümmert, weil wir wollten, dass die Typographie der Songtexte zum Schriftzug passt. Aber prinzipiell macht das Artwork Oliver. Wir geben inhaltliche Impulse, er setzt das visuell um. Klappt großartig.“
? Auch Musiker sind Fans. Daher darf das obligatorische Nerdytum an dieser Stelle nicht fehlen: Welches Konzert und welche Platte haben euch zuletzt dermaßen geflasht und warum?
Andreas: “Richtig geflasht hat mich „Time is Up“ von HAVOK. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch einmal so einen großartigen Thrash-Sound geben wird. Man fühlt sich wieder wie 16. Das ist toll. Die machen das auch live großartig, aber wenn man dann LOST SOCIETY auf der Bühne sieht, die auch Thrash-Metal machen, dann flippt man komplett aus. Das ist fast wie ein Anthrax-Konzert zur „Among the Living“-Zeit. Wenn du nach anderen Musikgenres fragst, ist es wohl z.B. von Andy Stott „Faith in Strangers“. Das Album finde ich wahnsinnig gut.”
Christof: “Meine beiden absoluten Favoriten in 2014 waren SUN WORSHIP mit „Elder Giants“. Super-epischer Black Metal mit genialen Melodien. Und dann natürlich ENFORCER mit „Death by Fire“. Hier gilt für mich das Gleiche wie bei Andi bezüglich HAVOK: Alte Maiden vermischt mit Speed Metal, dazu noch ein Sound der perfekt passt, nicht zu modern aber auch nicht „retro“ auf Teufel komm raus. Dass ich das nochmal erlebe…”
Christian: „Death by Burning“ von MANTAR war die Platte, die mich dieses Jahr am meisten gepackt hat. „White Nights“ zerstört einfach alles. Und AMEN RA, die bisher an mir vorbeigezogen waren, hab ich für mich entdeckt. Die Stimmung und die Schwere, die durch monolithische und langsame Songstrukturen geschaffen werden können, ist bis dahin wohl an mir vorbeigegangen.“
? Abschließend noch eine Prognose eurer Seite bezüglich der deutschen Szenelandschaft härterer Gangart. Mit welchen Projekten seid ihr befreundet oder im Herzen verbunden? Gibt es gar Empfehlungen aus eurer Region auf die wir mal ein Auge werfen sollten?
Andreas: „Boris, der Omega Massif-Bassist, spielt jetzt zweite Gitarre bei BLACKSMOKER aus Würzburg. Das sollte man sich mal anhören. Die haben gerade zu dritt ihr Album „Origins“ herausgebracht, das geht ordentlich ab. Da wackelt die Föhnfrisur. Und da wird mit Boris jetzt mit Sicherheit schon an weiteren Gemeinheiten in Richtung Metal meets Rock’N’Roll meets Stoner gebastelt. Außerdem Davids (=Gitarrist) andere Band BAIT.“
Vielen Dank für das Interview!
Interview: Dimitrios Charistes
Fotos 2,3 : Philip Eisert
www.facebook.com/wintercvlt
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