Bis Mitte der 1990er Jahre war das Erscheinen eines neuen Albums von SOL INVICTUS ein Ereignis, dem man als Fan voller Ungeduld entgegenfieberte. Die hochgesteckten Erwartungen wurden meist mehr als erfüllt: die Band eilte von Höhepunkt zu Höhepunkt und schien mit jeder Platte immer besser zu werden. Um die Jahrtausendwende gab es dann einen Bruch, über dessen Ursachen hier nicht spekuliert werden soll, aber alles, was Tony Wakeford seither veröffentlichte, einschließlich seiner Soloalben sowie diverser Nebenprojekte, verharrte im Mittelmaß. Es schien, als habe ein weiterer Protagonist des Neofolk seinen künstlerischen Zenit überschritten, um sich sodann in die Bedeutungslosigkeit zu begeben. Umso überraschender war dann das 2011 erschienene Album The Cruellest Month: mit kraftvollen und gradlinigen, ohne alberne Klangspielereien aufgenommenen Songs bewies die Band, dass sie immer noch fähig war, sich weiterzuentwickeln: Wakeford schien zu alter schöpferischer Kraft zurückgefunden zu haben. „Once Upon A Time“ nun, das jüngst erschienene neueste Werk aus dem Hause SOL INVICTUS, bestätigt diesen Eindruck in überzeugender Weise, und es scheint, als sei Tony Wakeford auf dem besten Wege, ein mehr als respektables Alterswerk zu schaffen.
Auf „Once Upon A Time“ finden sich insgesamt 15 Titel, 6 davon sind rein instrumental und verbinden als eine Art Brücke die Gesangsstücke miteinander. Auch wenn der klassische Folk weiterhin das musikalische Grundgerüst bildet, schlagen SOL INVICTUS neuerdings deutlich rockigere Töne an. Vor allem die Bandneulinge Don Anderson und Jason Walton, beide Mitglieder der Metal-Formation AGALLOCH, sorgen dafür, dass an Stelle der gewohnten Akustikgitarre E-Gitarren das Klangbild dominieren. Der typische SOL-Sound ist allerdings noch immer vorhanden, wofür schon allein Tony Wakefords charakteristischer Gesang sorgt. Thematisch lotet Wakeford einmal mehr die Abgründe der menschlichen Existenz aus, wobei auch sein notorisch zynisch-schwarzer Humor nicht zu kurz kommt. So erzählt „Our Father“ eine bitter-böse Familiengeschichte, während „The Devils Year“ dem großen Feuer gewidmet ist, das London im Jahr 1666 zerstörte. Das dreiteilige Austin Osman Spare ist eine Hommage an den großen Magier und Maler, der sein ganzes Leben in den heruntergekommeneren Stadteilen von London verbracht hat, viele Jahre davon in bitterster Armut. Auch wenn es schwer fällt, einzelne Stücke besonders hervorzuheben, so besitzen doch vor allem der lyrisch-hypnotische Titeltrack sowie War mit seinen treibenden Percussions und dem Duett von Wakeford und Anton Shelupanow Ohrwurmqualitäten.
Insgesamt ist SOL INVICTUS mit „Once Upon A Time“ ein homogenes Album gelungen, das seine komplexe Schönheit erst nach mehrmaligem Hören entfaltet. Es beginnt wieder Spaß zu machen, auf neue SOL-Veröffentlichungen zu warten.
M. Boss
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