Mein Verhältnis zu der Gruppe SANDOW ist eng mit einer „unruhevollen Jugend“ in der DDR verknüpft und ein wichtiger Teil meiner Biografie. Man mag mir daher meinen persönlichen und eventuell all zu sentimentalen Blickwinkel im Folgenden nachsehen. Zuerst hörte ich von der Cottbuser Band SANDOW das erste Mal in der Sendung „Parocktikum“ von Lutz Schramm auf DT64, wobei allerdings ihr präsentes Auftreten in dem Dokumentar-Film „Flüstern und Schreien“ wesentlich mehr Eindruck auf mich machte und wir im Sommer 1988 es der Band nachmachten und mit dem Rad (ein gelbes Tandem übrigens) an die Ostsee wollten. Allerdings kamen wir nur bis nach Berlin bzw. dort nicht auf den Zeltplatz, weil dieser von Bruce Springsteen-Fans völlig überfüllt war, der ja gerade zu dieser Zeit sein legendäres Ost-Konzert geben musste. Also kehrten wir gefrustet um und verbrachten eine entspannte Woche am Briesensee unterhalb von Berlin. Kurioserweise war das widerliche Konzert des von den Ostdeutschen so verehrten Amerikaners eine wichtige Inspiration für den größten Hit (und späteren Fluch) namens „Born In GDR“ von SANDOW. Kann das alles Zufall sein? Als Kai Uwe Kohlschmidt und Chris Hinze die Band im zarten Jugendalter von 13 Jahren anlässlich einer Faschingsveranstaltung gründeten, konnten sie sicher noch nicht ahnen, das sie auch 30 Jahre später nicht mehr aus den Klamotten raus gekommen sind. Was damals als harmlose Schülerband begann, sollte schnell zum Sprachrohr und Ventil einer unzufriedenen Jugendbewegung in der DDR werden. Vor allem durch den Auftritt in dem Eingangs schon erwähnten Film erreichten SANDOW eine gewisse Popularität, welche letztendlich in der LP „Stationen einer Sucht“ auf dem staatlichen Plattenlabel Amiga mündete. Als diese jedoch kurz vor der Wende erschien, waren SANDOW längst schon weiter und auf dem Weg zu einer künstlerisch anspruchsvollen Avantgarde-Band. Trafen sie Ende der 80er Jahre noch genau den Nerv des aufbegehrenden Publikums, spielten sie später meist gegen dieses an. Abgesehen von einer fast schon surrealen Begegnung mit der Band, (welche in lange schwarze Ledermäntel gehüllt war) auf einer U-Bahn-Rolltreppe in Westberlin kurz nach dem Mauerfall und ebenso einer seltsamen Situation im Jugendclub Südvorstand in Cottbus, als ich dort gerade mit den FREUNDEN DER ITALIENISCHEN OPER unterwegs war, verlor ich die Band in den Nachwendejahren leider völlig aus den Augen. Erst 1994 hatte ich diese wieder bei der Fortsetzung von „Flüstern und Schreien“ im MDR auf dem Schirm, in dem übrigens auch die ersten Gehversuche von RAMMSTEIN zu sehen waren. Ich wurde dabei ziemlich fassungslos und gleichzeitig faszinierend einer völlig desillusionierten Band gewahr, die irgendwie militanter geworden und interessantes zu sagen, aber augenscheinlich auch ein großes Drogenproblem hatte. SANDOW waren im Rausch ins Feuer gesprungen und hatten sich dabei mächtig verbrannt! 1998 war deshalb Schluss und erst 2007 kehrte man endlich gereinigt und wiedervereint zurück. Inzwischen haben SANDOW sogar mit „Born In GDR“ ihren Frieden gemacht und geben dem Publikum zumindest mit diesem Hit in einer neuen wie groovigen Version das, wonach es verlangt. Darüber hinaus ist die Band zwar zum Teil etwas ruhiger, aber meiner Meinung nach auch noch zynischer geworden. SANDOW haben nämlich noch was zu klären und dieser überaus spannende Prozess dauert bis heute an! Von alledem und noch mehr handelt jetzt die vorliegende 180 Seiten, welche ich mir im ersten biografischen Teil schon gerne etwas ausführlicher vorgestellt hätte, aber was die zweite Hälfte mit seinen ausführlichen Interviews der einzelnen Band-Mitglieder und Wegbegleiter mehr als wettmacht. Ein umfangreicher Bildteil, eine ausführliche Diskografie, ausgewählte Texte, Besetzungsliste usw. runden dieses empfehlenswerte Buch ab. Optional liegt dem Buch übrigens noch die Hörspiel-CD „Im Feuer“ bei, die 2013 sogar für den Deutschen Hörbuchpreis nominiert war und diesen nur knapp verfehlt hat. Ebenso wie das Buch wird in den rund 80 Minuten sehr plastisch und intensiv der Werdegang von SANDOW dargestellt und dem Hörer entwirft sich ein diffuses Bild einer Band, die traumwandlerisch zwischen Underground, Boheme, Aufruhr, Staatsnähe, Drogenrausch, Todesnähe und Publikumsverweigerung pendelte. SANDOW waren, sind und bleiben eine gefährliche Band! (Marco Fiebag)
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