Ein neues Anenzephalia-Album? In gewissen Sinne schon, aber musikalisch gesehen ist es „nur“ eine von vielen gewiss lang ersehnte Veröffentlichung der bisher ausschließlich auf Vinyl erschienenen Singles. Die CD beginnt mit den vier Tracks der kaum erhältlichen (bzw. bezahlbaren) ersten Single „Lyse“, bekanntlich ja auch eine der ersten Tesco-Veröffentlichungen überhaupt: Schnell haben die beiden ersten Tracks, „Infarkt“ und „Mechanical Rape“, die frühere A-Seite, einen in den musikalischen Bann gezogen, wie ich ihn in dieser Intensität eigentlich nur von Anenzephalia kenne. Auch die B-Seite der „Lyse“ sorgt in nicht von verminderter Qualität dafür, dass der Hörer nach den ersten vier Titeln vollends in die akustische ‘Kaltwelt‘ eingesogen wird ist: Klar strukturierte Beats, stellenweise sehr noisige Samples und kein Wort zu viel machten bereits in den Neunzigern den ‘anenzephalischen‘ Sound aus und das war schon damals gut so.
Es folgen die vier Stück der 12“ „New World Disorder“, die den Sog fortsetzen und bei „Planet of Slaves“ geradezu exemplarisch zeigen, dass auch mit schmerzhaften Tönen – so empfinde ich zumindest manche, die hier verwendet worden sind – gute Musik gemacht werden kann. Mit „Final Pulse“ ist hier dann auch einer der größten „Hits“ des Industrial/Power Electronics Genres enthalten oder doch zumindest ein Lied, das ich immer wieder sehr gerne (und sehr gerne auch live) höre, was in gleichem Maße an der Komposition aus „Puls“ bzw. Rhythmus und Noise sowie den Vocals liegt. Falls jemand einen Anspieltipp braucht, wieso nicht diesen? Nur kurz erklingt bei der auf Power & Steel veröffentlichten 10“ namens „Die Sender müssen schweigen“ so etwas wie eine konventionelle Melodie – eher ein Jingle – dies ist indes der Verwendung eines (Radio-)Samples geschuldet. Dann ertönt geradezu eine Konzept-E.P. zum Thema „Sender“ und „Empfänger“ bzw. Kommunikation – mit dichten elektronischen Samples, hypnotischen Loops und „thought provoking“ Samples. Das schöne Plattencover hat es allerdings nur in sehr reduzierter Form ins Artwork der CD geschafft.
„Daymare“, die B-Seite der Single „Projected Void“ macht seinem Name alle Ehre und erschafft mit seiner kalten, trostlosen und daher alles andere als einlullenden Stimme (und Stimmung) in der Tat einen Alptraum für den Tag. Passend dann „Turn the Tide“ zum Abschluss; passend insofern, dass der Titel eine Handlungsanweisung enthält… Die Scheibe umzudrehen? Etwas gegen die Nachricht zu tun, Anenzephalia werde nicht mehr live auftreten? Keine eindeutige Aufforderung, doch war dies eigentlich sowieso immer mein Eindruck: Anenzephalia macht es einem nicht eindeutig oder leicht, bietet einem zwar eine Klangwelt, doch zwingt einen ebenso, nicht nur genau hinzuhören, sondern eben auch (kritisch) zu denken – und das bei angeborener Gehirnlosigkeit (vgl. „Anenzephalie“)… Ich glaube, kein Vinylsammler muss enttäuscht sein, dass seine/ihre Schätze nun auch in digitalem Format vorliegen und dadurch etwas an Exklusivität verloren haben könnten (zumal der CD ja auch kein „Sektionsschein“ beiliegt), hier ist einfach Freude angebracht, dass der „Sender“ Anenzephalia, digital nicht mehr „schweigt“, sondern dem geneigten „Empfänger“ diese Titel auch in diesem Format zur Verfügung stellt. Empfehlung!
(flake777)
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