Als Tochter von New Yorker Punkrock-Eltern bleiben eigentlich nur zwei Optionen zur Rebellion. Zum einen, dem Vater im akuten Crystal-Meth-Modus erklären, dass man im nächsten Jahr eine Stelle bei der örtlichen Kreissparkasse beginnen wird, während man dabei den geliebten Goldfisch vergewaltigt. Oder Plan B: Noch extremere Musik machen als der exzentrische Herr Papa. Die 23-jährige Margaret Chardie hat sich entschieden und dringt mit ihrem ultrabrutalen Noise-Nihilismus in die Untiefen der menschlichen Seele ein. Dabei möchte sie mit PHARMAKON exakt das Gegenteil erreichen, und wird in Interviews nicht müde zu betonen, dass sie mit ihren harschen Kotz und Würge-Attacken doch nur die schönen Seiten der menschlichen Existenz verstärken und nachhaltige Daseinswirkung erzeugen möchte.
Mit der Mut zur Hässlichkeit zum Erfolg. Immerhin hat sie es mit ihrem 2013er-Debüt „Abandon“ und dem kultig-madigen Coverfoto sogar zu einem Künstlerporträt bei Spiegel Online geschafft. Es gibt sie also doch noch: Künstler, die derartig provozieren und verstören, dass sie selbst Pädagogen und Kunstlehrer faszinieren. Aber vielleicht liegt es auch schlichtweg nur daran, dass Chardie als weibliche Protagonistin in eine Szene eingezogen ist, die von unheimlichen Männerfiguren dominiert wird. Der abgedroschene Stempel Rebellion gegen eine angepasste Gesellschaft ist PHARMAKON aber zu plakativ. Mit ihrer eigenen D.I.Y.-Noise-Sekte „Red Light District“ veranstaltet sie regelmäßig Industrial-Konzerte und Art-Performances in einem suburbanen Haus im Süden von Queens. Außerdem ist sie auch mit ihren Kollaborationen im House Sacred Bones und Gastauftritten bei zeigemäßen Experimental-Projekten wie VAR in bester Gesellschaft. Den ersten Schock kann die hübsche Blondine mit ihrem Zweitwerk „Bestial Burden“ allerdings nicht erreichen. Nachhaltig verstören dafür allemal.
Auf „Bestial Burden“ beschäftigt sich die blutjunge Noisemusikerin diesmal mit der Fragilität und Mortalität des eigenen Seins. Denn nur wenige Tage vor ihrer ersten Europatournee im letzten Jahr erlitt sie einen medizinischen Nofall und konnte ihr Bett mehrere Tage nicht verlassen. Diese Erfahrung nutzt Chardie und verarbeitet auf sechs Tracks den Kampf um ihre Gesundheit. Herausgekommen ist wieder eine Kollektion erschütternder Post-Industrial/Noise-Eskapaden in ehrenwerter Tradition an THROBBING GRISTLE, WHITEHOUSE oder MAURIZIO BIANCHI, immer dargeboten mit verzerrten Effekten und psychologischer Gewalt. Wie auch auf dem Debüt wird gehustet, gekeucht, gekeift und geschrien. Gleich zu Beginn leitet ein nach Luft schnappendes Atmen in die Eleganz im Angesicht des Todes ein. „Primitive Struggle“ ist die Aufnahme eines grausam inszenierten Todesröcheln unterlegt mit dumpfem Herzschlag-Beat. „Intent Or Instinct“ erinnert mit seinen destruktiven Horror-Electronics an Großmeister Clay Ruby alias BURIAL HEX, während der abschließende Titeltrack den absoluten Nihilismus zelebriert und in seiner Hässlichkeit beinahe zu ersticken droht. Schönheit liegt im Auge des Betrachters? Nein, denn „Bestial Burden“ bleibt hässlich, stellenweise zutiefst unerträglich und um vitalen Hass zu verbreiten schlichtweg ungenießbar.
Analoge Stampfbeats und ultraböses Gekeife sind die Quintessenz des musikalischen Schaffens von PHARMAKON. Für Kenner-des Noise-Genres ist das nichts Neues. In einschlägigen Foren wird ihre hässliche Konzeptkunst gerne auch als Hipster-Noise oder „Noise for Picnics“ tituliert. Dennoch: Der Hype ist in vollem Gange – ein erneut verstörendes Albumcover, diesmal mit Autopsie-Selbstbezug, erzwingt sicher wieder eine Rezension im Feuilleton.
Fazit: Für die jüngere Generation mag „Bestial Burden“ im besten Falle eine harsche Offenbarung sein, die die tiefere Beschäftigung mit dem Genre provoziert. Glaubwürdigkeit stellt sich aber durch Contenance ein. PHARMAKON muss noch beweisen, ob sie den steinigen und einsamen Weg auch auf ihrem Nachfolgewerk weitergeht – oder ob sie als heranwachsende Frau doch lieber die Verwandlung zum schönen Schwan inszeniert. Für die meisten Menschen ohnehin unhörbarer Krach, liegt die Schönheit tatsächlich wieder einmal im Inneren. Denn der perfekte Hörgenuss tritt niemals ein, er existiert erst gar nicht. Wer selbst japanischen Death-Industrial von DISSECTING TABLE oder MERZBOW überlebt hat, wird sich hier langweilen. Alle U25-Jährigen in der existenziellen Sinnsuche, die tatsächlich mit dem Gedanken spielen einen Goldfisch zu vergewaltigen, dürfen sich aber einreihen, in eine neue Generation mit Hang zur ästhetischen Selbstzerstörung und morbider Liebeslust zum Leben.
(Dimitrios Charistes)
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