Ein neues Album von MENACE RUINE liegt in der Post und schon spüre ich diese verkrampfte Ehrfurcht in mir, als Rezensent wieder mit den Worten ringen zu müssen. Denn eine Platte von MENACE RUINE zu besprechen ist kein leichtes Unterfangen; steht das Duo aus Montreal seit 2007 für eine überbordende Originalität und Qualität, und sticht mit ihren mysteriösen überirdischen Klangwelten klar aus der Masse heraus. Innerhalb ihrer kosmischen Zusammenkunft aus Black Metal-Wurzeln, Apocalyptik-Folk-Atmosphäre und ritueller Industrial-Tradition bleiben sie auch auf ihrem fünften (oder sechsten Album, rechnet man die Sigil Sessions-EP als vollwertiges Full-Length hinzu) unerreicht und musizieren in ihrer ganz eigenen Zauberwelt fernab jeglicher Kategorisierung. „Venus Armata“ ist endlich wieder einmal ein derart melancholisches Album geworden, welches das abgedroschene Klischee „Mit-den-Kopfhörern-durch-den-Wald-laufen“ seit „Celestial Lineage“ von WOLVES IN THE THRONE ROOM wieder voll und ganz erfüllt. Anwärter auf ein potenzielles Album des Jahres ist „Venus Armata“ allemal!
Schon im großen BLACK-Interview von 2011 offenbaren MENACE RUINE ihr Geheimnis, seit jeher mit dem gleichen Equipment im gleichen Proberaum ein neues Album zu schreiben bzw. aufzunehmen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Wer Stillstand vermutet, irrt. Die Unterschiede liegen eher in den Methoden des Komponierens, die von Album zu Album variieren. Bereits die Vorgängeralben „Alight in Ashes (2012)“ und „Union Of Irreconcilables (2010)“ sind zeitlose Meisterwerke innerhalb des naturverbundenen Dark Ambient/Noise-Genres. Wie toppt man das? Wer mit der Diskographie des menschenscheuen Duos vertraut ist, bekommt auch auf dem neuen Album markante Synthie-Drones (nein, das sind keine E-Gitarren und auch keine Bässe) gepaart mit Genevièves hypnotischen Gesängen zu hören, die ihresgleichen suchen. Okkultartige Klänge, weltfremd, geheimnisvoll und schlichtweg wunderschön stützen die abstrakten Texte zwischen Naturmystik und schamanischen Ritualen. Weltabgewandt irgendwo im Dickicht kanadischer Wälder liegt der Tempel – die Ruine – zum Verständnis.
Die Atmosphäre erzählt Geschichten von Hexentänzen, von Wicca-Beschwörungen und majestätischer Huldigung vor dem Großen Etwas. Mit Blasphemie oder Satanismus hat das Duo nichts am Hut, viel mehr ist es diese bedingungslose Hingabe zum Konzept, emotionale Stimmungen, zu kreieren. Zu den Texten, die immer einen sehr privaten Hintergrund haben, schweigt sich Songschreiberin Geneviève ohnehin seit jeher aus. Aber auch für kabbalistische Messen, der Huldigung von Erdmagie und die Einführung in die Hexenkunst, eignet sich das Album als perfekte Stimmungsuntermalung.
Der zwölfminütige Opener „Soften Our Evil Hearts“ stimmt mit obligatorischem Glockenläuten und intensiver Steigerungskurve in die sieben neuen Stücke ein. Der folgende Track „Red Sulphur“ entwickelt sich bald schon zum Übertrack – mein persönliches Highlight des Albums – denn MENACE RUINE schreiben jetzt auch Ohrwürmer: Der majestätische Okkult-Beat und die fast schon poppigen Vocals erzeugen zumindest sofort Gänsehaut. Schwache Nummern gibt es auf „Venus Armata“ nicht. Insgesamt darf man MENACE RUINE attestieren, insgesamt eingängiger geworden zu sein – die Songs sind mittlerweile deutlich voneinander abzugrenzen. Der finale Titeltrack unterstreicht abschließend ein nahezu perfektes Album und rahmt als zweiter Longtrack (17 Minuten) das Gesamtkunstwerk in seiner monumentalen Größe ein: Sakrale Gesänge, die auch an BRENDAN PERRY-Platten oder neuere THIS MORTAL COIL erinnern. Darf man eigentlich Ambient Industrial noch schreiben oder ist die Bezeichnung seit den 80ern tot?
MENACE RUINE haben mit ihrem stimmungsvollen Herbstwerk eine Kombination aus entrückten Noise-Flächen und einem „zeremoniellen“ Klangbild geschaffen, welches immer wieder durch die evozierenden Gesänge perfektioniert wird. Die abstrakten und schönen Zeichnungen zu jedem Track im Booklet verführen ohnehin zum umgehenden Kauf. Zweifelsfrei eine der besten Bands des Genres in Höchstform mit einem potenziellen Album des Jahres!
(Dimitrios Charistes)
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