Ein Imageproblem hatten die drei Bleichgesichter von ESBEN AND THE WITCH aus dem englischen Seebad Brighton nie. 2011 wurden sie mit ihrem Debüt „Violet Cries“ in deutschen Szenemedien und an Gruftathmo interessierten Feuilletonisten (zurecht) gefeiert; ihr einst titulierter „Nightmare Pop“ war Sound der Stunde. Die dazugehörige „New Romantics“-Ästhetik verhalf dem Trio zur zusätzlichen Popularität. Der gelegentliche Vergleich mit den Überfliegern von THE XX hinkte allerdings – man ließ sich blenden und vergaß schnell, dass bis auf die schön anzuschauenden, ausgebleichten Promobilder der bibliophilen Youngsters eigentlich nur vor sich hin wabernde Stücke auf dem Album zu finden waren. Und ja, die ausgewaschenen Retro-Hemden waren stets geschmackssicher!
Gut, „Marching Song“ war ein Semi-Hit, „Hexagons IV“ und die vorausgegangene EP „Lucia, At The Precipice“ ließen auf Großes hoffen. In der Nachbetrachtung ist aber auch der fragmenthafte und irgendwie unfertig-wirkende Nachfolger „Wash The Sins Not Only The Face“ (2013) nur Durchschnittskost von drei Musikern, die sich zurück in die 1980er sehnen. Als die Welt noch monochrom und grau sein durfte und SIOUXIE AND THE BANSHEES auf ewig regierten; Melancholie noch cool und nicht emo war. Und als Bands wie CLAIR OBSCUR noch Exempel statuierten. Ja, das waren Zeiten! Wie man dieses Gefühl erfolgreich in die 00er-Jahre transportieren kann, haben Projekte wie ZOLA JESUS, INTERPOL oder SOAP & SKIN hinreichend bewiesen. Vielleicht haben ESBEN AND THE WITCH nun eingesehen, dass sie nicht als fantasielose Plagiate in die neuere Musikgeschichte eingehen wollen und ändern mit ihrem dritten Album „A New Nature“ …. gleich einmal alles! Nur der entrückte Gesang von Rachel Davies bleibt weiterhin Markenzeichen dieser sinnsuchenden und rätselhaften Band.
Dank Crowdfunding und einer treuen Fangemeinde wagen ESBEN AND THE WITCH den Alleingang und veröffentlichen ihr Drittwerk auf ihrem eigenen Label Nostromo Records. Die Elektronik ist weg, man reduziert sich auf Gesang, Bass, Gitarre und Polterschlagzeug. Selbst die sympathischen Synthesizer-Klänge und charakteristische Hall in der Stimme sind verschwunden. Das nennt man dann wohl Selbstbewusstsein am Mikro. Ob Produzent Steve Albini hier seine Finger im Spiel hatte? Der betreute die neue Horrorshow und ließ nach eigenen Angaben auch brav die Finger von den Knöpfen und etwaigen Nachkorrekturen. Die Band wirkte gut eingespielt, die Stimmung passte, die Songs waren tight erprobt. Was nach dem Effekt-Fetisch bleibt ist eine minimalistische Rockplatte, die sich textlich noch immer in morbiden Gefilden und Märchen für Erwachsene verliert, mit ihrer auf zeitlos getrimmten Produktion dann aber lieber doch auf Nummer Sicher gehen möchte. Inhaltliche Themen sind Geduld, Stärke, Entschlossenheit und Selbstverwirklichung – jeder Song widmet sich dem Einzelschicksal eines literarischen Protagonisten. Im BLACK-Interview wurde vor allem die starke Beschäftigung mit Hesses Demian mehrmals hervorgehoben. ESBEN AND THE WITCH bleiben eben elende Leseratten!
Gleich mit dem Opener „Press Heavenwards!“ gibt es eine atmosphärische Einführung, bis ein postrock-artiges Riff die weiteren acht Minuten und das postapokalyptische Szenario bestimmt. Gruftstimmung ist das nicht. Eher eine nicht-ablenkbare Hintergrundbeschallung für Nietzsche-Newcomer in Röhrenjeans. Ein gelungener Start in die Neuausrichtung? Leider muss der Zuhörer aufmerksam am Ball bleiben um den weiteren sieben Songs folgen zu können. Selten steuern die Stücke auf Höhepunkte hin, wiedererkennde Refrains sucht man vergebens; es bleibt viel Platz für Fragezeichen und den mutigen Verzicht auf Dramaturgie. Neu sind die immer wiederkehrenden repetetiv eingesetzten Gitarren-Riffs, die den Songs jetzt Kontur schenken und zur Wiedererkennung verhelfen. Der Grusel steckt im Detail! ESBEN wollen eben schon immer lieber Stimmungen erzeugen, als Ohrwürmer.
ESBEN AND THE WITCH bleiben ihrem Grundkonzept treu, keine Hits zu schreiben. Dass sie es doch können, zeigt ihre aktuelle Single-Auskopplung „Dig Your Fingers In“ mit hervorragender Fever Ray-Reminiszenz. Wie es für die Zukunft interessant werden könnte, zeigt der 15-minütige Schlüsseltrack „The Jungle“ mit sphärischem Trompeten-Abgang und exemplarischem Godspeed You! Black Emperor!-Kniefall. Bei „Those Dreadful Hammers“ mag man sich an die neueren SWANS und deren avantgardistische Noise-Orgien erinnert fühlen.
Vergesst „Nightmare- “ oder „Gothic Pop“ und sonstige Modebegriffe, die vor drei Jahren hip waren. ESBEN AND THE WITCH sind zu einer erwachsenen Band gereift, in der noch immer mehr Potenzial schlummert, als sie es sich vielleicht eingestehen möchten. Mit Pop hat das im entferntesten etwas zu tun: ESBEN AND THE WITCH sind im Postrock angekommen! Vor allem aber sind ESBEN AND THE WITCH gekommen, um zu bleiben.
(Dimitrios Charistes)
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