Erinnert ihr euch noch an das viel gelobte Musikjahr 2011? Ätherischer Dunkelpop war neben Witch House im „schwarzen Mainstream“ Sound der Stunde – und ESBEN AND THE WITCH neben THE XX einer der Gewinner des „Nightmare“-Pop-Hypes; hochgefeiert in popkulturellen Hochglanz-Magazinen und vom Dark-Wave sozialisierten, nostalgischen Ex-Grufti-Redakteuren im Feuilleton gepusht. 2008 im britischen Küstenstädtchen Brighton als Trio gegründet, gab es nach einer vielbeachteten EP pünktlich zu Halloween 2011 das viel gefeierte Debüt „Violet Cries“, welches unheimliche Synthesizer-Klänge mit doomigen Gitarren und Gesängen aus einer anderen Dimension verband. Ein wunderbar ästhetisches Werk, welches in der Nachbetrachtung allerdings nicht immer vollends überzeugen könnte. Gleiches gilt auch für den 2013-Nachfolger „Wash Your Sins, Not Only The Face“. Die Stücke verloren sich in ihrer abstrakten Konzeption, wollten manchmal zu viel gleichzeitig als auf den Punkt zu kommen. Am Ende des Tunnels blieb es oft dunkel. ESBEN AND THE WITCH machen es ihren Hörern schließlich nicht immer leicht ihnen folgen zu können. Glaubt man, die ein oder andere Melodie noch ein Weilchen hören zu dürfen, verpufft diese als schemenhafte Miniatur im geheimnisvollen Licht. Dennoch konnte das britische Trio binnen kurzer Zeit eine beachtliche Fanschar um sich versammeln, die das Bedürfnis haben, in die mysteriöse Musik dieser Formation vollends einzutauchen. Nun steht „A New Nature“, das dritte Studioalbum, in den Startlöchern – diesmal wählen die drei bibliophilen Musiker aber den direkten Weg. Die Effektpedale bleiben im Keller. Die Band reduziert sich auf eine spartanische Instrumentierung, zu hören sind hauptsächlich Skelette aus Gitarren, Bass und Drumcomputer– über allem schwebt stets die mysteriöse Stimme von Sängerin Rachel. Im Interview mit BLACK verrät Gitarrist und Komponist Thomas, warum ESBEN AND THE WITCH eine Art Neuanfang wagen.
? Zu Beginn Gratulation zu eurem dritten Album „A New Nature“. Meiner Meinung nach, ist es euer bisher bestes Album geworden. Ich mochte euer Debüt, war aber vom Nachfolgewerk „Wash Your Sins..,“ etwas enttäuscht. Manche Songs wirkten für mich eher unfertig und als Fragmente skizzenhaft. Mit „A New Nature“ habe ich mich nun intensiver beschäftigt. Mir fällt auf, dass die Stücke strukturierter zum dramatischen Höhepunkt hinarbeiten bzw. generell songfreundlicher aufgebaut sind. In vielen eurer Stücke verwendet ihr repetitive Main-Riffs. Gab es diesmal einen neuen Ansatz an das Songwriting?
Danke für das Feedback. Freut mich, dass dir das neue Album gefällt. Tatsächlich wollten wir mehr riff-orientierte Stücke schreiben, die einen höheren Wiedererkennungswert inne haben. Diese Entscheidung haben wir zwar schon beim letzten Album getroffen. Diesmal aber haben wir im Studio im Großen und Ganzen auf für uns charakteristische Reverb- und Delay-Effekte verzichtet, so dass die Songs etwas reduzierter, aber direkter klingen. Wir wollten eine spartanische, minimalistische Instrumentierung in den Vordergrund der Produktion stellen. Und tatsächlich glaube ich, dass sich diese neue Herangehensweise „menschlicher“ anfühlt und für den Hörer „wohltuender“ klingt. Man hört es auch: Drei Menschen spielen auf ihren Instrumenten in einem Raum – und eben nicht mit zwanzig verschiedenen Effekten im Studio, die allesamt zur gleichen Zeit erklingen. Letztendlich gibt es auch kaum Overdubs oder Nachbearbeitungen. Die Gitarren und die Schlagzeugspuren wurden in einer eigenen Studio-Box aufgenommen, exakt so wie die Stücke komponiert wurden. Letztendlich haben wir den vergangenen Sommer komplett im Studio eingeschlossen verbracht und an „neuer Musik“ gearbeitet, um Songs zu kreieren, die nach ESBEN AND THE WITCH klingen.
? ESBEN AND THE WITCH ist keine Band, die melodische Popsongs schreibt, sondern eher die atmosphärische Komponente wählt. Ich persönlich würde jetzt keinen eurer neuen Songs als „hit-tauglich“ bezeichnen. Gehört es zum Konzept der Band, den Zuhörer herauszufordern?
Ja, ich identifiziere mich selbst sehr stark mit der Tatsache, dass ein Album als Ganzes funktionieren muss und keine Kollektion von einzelnen Songs ist. Dafür eignen sich andere Veröffentlichungsmethoden. Diesmal war es uns wichtig, einen „Grundsound“ zu erschaffen, der die einzelnen Stücke ineinander fügt, so dass man sie einzeln sofort identifizieren und zu „A New Nature“ zuordnen kann. Ich denke, dass der Fehler unseres letzten Albums der war, dass wir zu viele Ideen in einen Song gepackt und zu viele verschiedene Klangkulissen gewählt haben. Dieses Mal haben wir Songs geschrieben, die wir alle auf ihre Art lieben, aber sie im Vergleich zu früheren Kompositionen „anders fühlen“. Das Album beginnt meiner Meinung mit einer ganz anderen Grundstimmung, als dass es endet.
? Wie hat sich die Arbeit mit Produzenten-Legende Steve Albini gestaltet?
An „Violet Cris“ haben wir uns die Zähne ausgebissen. Es wurde von Daniel (=Gitarre, Keyboards, Synthies, Effekte) in seinem Schlafzimmer aufgenommen und war eine lehrreiche Erfahrung. „Wash The Sins…“ war anschließend unsere erste professionelle Studio-Erfahrung, bei der wir sehr viel an professionellem know-how mitgenommen haben, was unsere nachfolgende Arbeitsweise nachhaltig verändert hat. Als wir damals ins Studio gingen, waren die Stücke allerdings nur halb fertig. Ich denke, das hat den Produktionsprozess etwas erschwert. Dieses Mal wollten wir erst ins Studio gehen, wenn wir alle hundert Prozent zufrieden mit dem Rohmaterial waren. Die Arbeit mit Steve Albini hat sich dann vor allem aus der Ideologie heraus ergeben, dass wir die Stücke exakt so hören wollen, wie wir sie geschrieben haben und Albini hier einen gewissen Ruf genießt. Es war eine große Ehre mit ihm zu arbeiten. Letztendlich war es tatsächlich ein schneller Produktionsprozess. Zum Beispiel haben wir die Instrumentalversion von „Blood Teachings“ in einem Take aufgenommen. Das lag zum einen daran, dass wir die Stücke bereits in der Probe perfekt beherrschten und sechs Monate Zeit hatten, alle Details nach unseren Vorstellungen zu korrigieren. Aber auch durch die Kommunikation und unser Wunsch, alles exakt nach unseren Vorstellungen klingen zu lassen, wurde berücksichtigt. Am Morgen wurde geprobt, dann kam Steve ins Studio, machte die Lichter an und los ging es. Es war fast schon zu einfach.
? Mit „Nistromo“ habt ihr nun auch ein eigenes Label gegründet, auf der ihr eure eigene Musik veröffentlicht. Welchen musikalischen Stil darf man für weitere Signings erwarten?
Wir haben das Label gegründet, um neben unserer Musik, auch gleichgesinnten Bands eine Plattform zu bieten. Im Moment sind wir noch sehr stark mit der Promotion zu „A New Nature“ beschäftigt. Es wird die erste Veröffentlichung sein. Aber ich kann schon mal verraten, dass da einiges an hochinteressanten Projekten in den Startlöchern steht. Wir bitten um noch ein wenig Geduld.
? Während ich euer neues Album höre, erinnern mich einige Passagen durchaus an noisige SWANS, experimentelle SONIC YOUTH oder die grenzenlose Vision von PINK FLOYD. Es scheint mir, als ob ihr eure Sichtweise auf eure Musik – aber auch euer Image – als Band verändern wollt. Schließlich wurdet ihr vor einigen Jahren noch als „Nightmare Pop“ tituliert, nun ist in jedem Promotext überall „Postrock“ zu lesen. Wie würdest du selbst die Musik von ESBEN AND THE WITCH anno 2014 titulieren?
Ich denke, durch die Tatsache, dass wir über die Jahre zu besseren Musikern geworden sind, können wir dies auch innerhalb unserer Musik ausdrücken. Und du hast Recht, in letzter Zeit habe ich mich persönlich viel mit der Retrospektive von Pink Floyd beschäftigt. Ich liebe das Gitarrenspiel von Dave Gilmour und den grenzenlosen Raum, den sie in ihren Stücken schaffen. Wie auch immer man letztendlich Post-Rock definieren möchte, es war es schon immer eine Musikrichtung, die uns alle gleichermaßen fasziniert hat. Eine Band wie Godspeed You! Black Emperor! wird von uns allen Dreien gehört und inspirierte uns immer schon. Letztendlich bin ich als Musiker aber froh, mir um Kategorisierungen keine Gedanken machen zu müssen. Das sollen andere entscheiden. Wenn mich jemand direkt fragt, was für Musik wir machen, antworte ich ihm schlicht: Rockmusik.
? Lass uns ein wenig über die lyrische Seite des Albums sprechen. Vielleicht kannst du uns zu einigen Songs etwas erzählen. Zum Beispiel, zu eurer ersten Single-Auskopplung „Blood Teachings“?
Ha – die Songtexte sind Rachels Aufgabe (=Sängerin und Gitarristin von ESBEN AND THE WITCH), daher hülle ich mich bei dieser Frage in mysteriöses Schweigen (lacht). Aber ich kann dir verraten, dass sie sich zu „Blood Teachings“ von Hermann Hesses Demian inspirieren ließ, eines ihrer absoluten Lieblingsbücher. Wir lesen alle sehr viel und versuchen immer wieder gewisse literarische Bezüge in unsere Musik einzubauen. Aus meiner Sicht geht es in dem Song darum, die innere Stärke zu sich selbst zu finden. Dieses Konzept gilt gleichermaßen für die meisten Songs auf dem Album, es zieht sich fast wie ein zentrales Thema hindurch. Im Song „Like Dig Your Fingers“ geht es zum Beispiel um den Charakter Ma aus „The Grapes Of Wrath“. Auch „Burden Of Dreams“, ein Dokumentarfilm über den Regisseur Werner Herzog von Les Blanks während der Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo“ hat bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich denke Rachel würde an dieser Stelle auch die Szene aus „Kill Bill“ erwähnen, in der Uma Thurman als weibliche Rächerin aus ihrem unterirdischen Grab ausbricht und sich „zurück ins Leben kämpft“. Auch dieser Filmcharakter inspiriert Rachel sehr. Ich denke, wenn man diese Information kennt, hört man „The Jungle“ mit anderen Ohren.
? Euer neues Album habt ihr über „Pledge Music“ finanziert. Erzähl mir über die Idee dahinter – und eurer Erfahrung!
Wir haben uns mit unserem ursprünglichen Label Matador einvernehmlich getrennt, da wir mit „Nostromo“ eigene Wege gehen wollten und es alleine versuchen möchten. Ab sofort haben wir alle Strukturen und Prozesse selbst in der Hand. Das haftet zwar mit Mehrarbeit für jeden von uns an, dafür sind wir selbstverantwortlich und haben keine Vertragsbestimmungen zu erfüllen. Des Weiteren wollten wir unsere Fans in den Produktionsprozess einbinden. Also haben wir eine Kampagne auf „Pledge“ gestartet und um Unterstützung gebeten. Die Resonanz war wunderbar und ernsthaft inspirierend. Ich denke, dass es vielen Menschen wirklich etwas bedeutet bei einem „Kunstwerk“ mit eingebunden zu sein und einen Teil dazu beizutragen. Durch die Unterstützung unserer Fans haben wir das für uns beste machbare Album produzieren können und ich freue mich auf erste Reaktionen von Fans, wenn sie es endlich hören werden.
? Fällt es euch leichter ausufernde, progressive Rocknummern zu schreiben als einen melodisch-eingängigen Popsong? Gibt es musikalische Visionen, auf die ihr als Band noch hinarbeitet?
Wir favorisieren tatsächlich längere Stücke. Bereits „Corridors“ von unserer ersten EP war ein Zehn-Minuten-Stück – und es war eines der ersten Stücke, die wir zusammen geschrieben haben. Irgendwie teilen wir alle Drei die Ideologie, dass sich der Zuhörer von der Musik gefangen nehmen lassen soll. Und tatsächlich stimmt es auch, dass es schwieriger für uns ist, eingängige Melodien zu schreiben. Möglicherweise hat das etwas mit unserem Grundverständnis von poetischer Musik zu tun. Ich kann gerade aber nicht sagen, wohin sich die Musik von EATW entwickeln wird. Nach der Album-Veröffentlichung gehen wir auf Tour um „The New Nature“ zu promoten. Momentan fließt all unsere kreative Energie in die Konzeptualisierung unserer Live-Show. Das ist schließlich eines unserer wichtigsten Merkmale. Alle die das neue Album hören werden und mögen, sind eingeladen, dieses live in der Form zu genießen, unverfälscht, roh und ekstatisch.
? Durch die Band habt ihr die Möglichkeit viele Länder zu bereisen und Kulturen aller Art kennen zu lernen. Wie seht ihr die Welt in der ihr euch bewegt? Und haben diese Impressionen Einfluss auf euer Schaffen als Musiker und Künstler?
Wir haben gelernt auf Tour miteinander harmonischer umzugehen. Auch als Individuen entdecken wir uns ständig neu. Wir sind definitiv selbstbewusster geworden, was das Musikmachen angeht. Das liegt sicher daran, dass wir die vergangenen vier Jahre fast ununterbrochen zusammen waren; ob im Studio, privat beim Songwriting oder auf Tour. Durch die Menschen und anderen Künstler, die wir treffen, fokussiert sich unser musikalisches Ziel immer stärker und unsere gemeinsame Vision verdeutlicht sich. Touren ist eine seltsame Angelegenheit, manchmal zutiefst verwirrend, alle Eindrücke, mit denen man erst einmal klarkommen muss. Aber wenn ich Interviews lese, in denen Musiker sagen, dass sie das Touren verabscheuen, kann ich nur den Kopf schütteln. Für mich persönlich ist das Touren eine unglaubliche, dankbare Option zu reisen. Du kommst an wirklich verrückte Orte, die du privat sicher nie kennengelernt hättest. Beispielsweise vor kurzem nach einem Gig in den USA sind wir durch South Dakota, Wyoming und Montana gefahren. Großartige Städte mit überragend-schöner Landschaft und gleichzeitig so seltsam in ihrer Erscheinung. Ich erinnere mich an ein altmodisches US-Städtchen namens Reliance. Eine Kleinstadt durch die wir gefahren sind, als die Sonne gerade unterging. Dann dieser Moment. Dunkle Berge, die die Stadt von allen Seiten umrunden und ein Mann im Arbeitsoverall vor einer brennenden Tonne, die in seinem Garten unter der amerikanischen Flagge steht, während er sich die Finger reibt und uns zuwinkt. Skurrile Alltagsszenen, für den Moment eingefangen. Gleichzeitig aber versuchen wir diese Eindrücke in unsere Musik als Gedankenbilder einzubinden.
? ESBEN AND THE WITCH pflegen ein retrohaftes Image. Und auch eure Ästhetik (Website, Bühnenshow) ist von romantisch-dekorativer Natur. Seid ihr noch immer von den eher dunkleren Märchen und Geschichten in der Welt fasziniert? Oder welchen Themen widmet ihr euch bandintern in Gesprächen?
Nach wie vor ist es unser Konzept, Stücke über Dinge zu schreiben, die wir als inspirierend empfinden. Einige Menschen sehen unsere Musik als besonders düster oder morbide an – ob das Rückschlüsse auf uns auf Personen hat, kann ich dir nicht sagen. Ich denke, dass viele Menschen heutzutage zu schnell auf Image und Look der Bandmitglieder schauen und sofort kategorisieren. In der Realität sind die Dinge oft komplizierter. Letztendlich möchten wir bleibende Musik hinterlassen. Wir sind von guten Filmen gleichermaßen inspiriert, wie von Reisen, guter Musik und Kultur jeglicher Art, die uns im Alltag begegnet. Wir alle haben aber gemeinsam, dass uns das Abseitige am ehesten fasziniert!
? Kannst du uns noch einen finalen Tipp geben, mit was sich der geneigte Fan beschäftigen sollte, um vollends in „A New Nature“ einzutauchen?
Wer ernsthaftes Interesse hat, das Album in seiner ganzen Größe zu verstehen, der sollte unbedingt den Demian von Hesse lesen. Wir alle haben ihn in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens unabhängig voneinander gelesen. Das Buch hat maßgeblich zum Entstehungsprozess des neuen Albums beigetragen, seine Seele liegt zwischen der Musik.
Thomas, ich bedanke mich für deine Zeit und das Interview.
http://esbenandthewitch.co.uk/
(Dimitrios Charistes)
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