Wann hat man schon einmal die Gelegenheit eine griechische Band in ihrer Heimat zu treffen und mit ihnen ein Gespräch zu führen? Aufgrund eines längeren Auslandsaufenthalts in Griechenland habe ich beschlossen in unregelmäßigen Abständen Gespräche mit griechischen Künstlern zu führen. Es lohnt der Blick über den Tellerrand. Athen: Einmal im Jahr öffnet das Hellenic Cosmic Center seine Pforten für das PLISSKEN FESTIVAL – meiner Meinung nach ein ebenbürtiger Pendant zum deutschen MELT-Festival in Ferropolis. Neben einer exquisiten Mischung aus internationalen Acts aus Electronica, Garage-Rock, Indie und Club-House wird auch verstärkt der nationalen Szene reichlich Raum gewährt. Auf vier Bühnen gab es zur fünften Ausgabe unter anderem so illustre Künstler wie The Soft Moon, The Black Keys, 65daysofstatic, Fuck Buttons, Crocodiles, Wild Beats, Nightmares On Wax oder der großartigen griechischen Traditional-meets-Modern-Tunes-Fusion-Band Imam Baildi Soundsystem, live zu erleben. Aber auch für die düstere Kost ist gesorgt. So habe ich vor Ort ich die Gelegenheit genutzt, und mich im Rahmen des Festivals mit der momentan ziemlich angesagten griechischen Psychrock-Band A VICTIM FOR SOCIETY unterhalten, welche an dieser Stelle auch den deutschen BLACK-Lesern nicht vorenthalten werden soll. Mit “”Distractions“ hat das Duo aus Athen ein in Griechenland viel beachtetes Debüt veröffentlicht, welches spacige Gitarreneffekte mit dämonischen Stoner-Rock-Riffs und sphärischen Soundflächen verbindet. Bleibt den Beiden Kreativköpfen zu wünschen, dass sie mit ihrer gekonnten Stil-Symbiose auch in Deutschland eine Fanbase erreichen. Vor ihrem Gig auf der Main-Stage habe ich mich mit Fotis Ntouskas über seine Band unterhalten.
? Als relativ neue Band (gegründet 2011), liegt die Vermutung nahe, dass euerBandname möglicherweise etwas mit der griechischen Krise zu tun hat. Oder liege ich da ganz falsch?
Nein, leider müssen wir dich enttäuschen. Der Bandname hat definitiv nichts mit der griechischen Krise zu tun. Vielmehr haben wir uns nach einem Gemälde des griechischen Künstlers George Grosz benannt. Vaggelis (Gesang, Gitarre, Projekt-Initiator) ist total besessen davon. Aber du hast Recht. In Zeiten, in denen die Krise allgegenwärtig im Alltag angekommen ist, assoziert man uns Griechen ohnehin nur noch als Krisenland. Das finde ich schade, aber erklärbar. Letztendlich dürfen die Zuhörer aber auch selbst ihre Schlüsse ziehen.
? In eurer Bandbeschreibung gebt ihr an, dass ihr vom 50er-Jahre Rock´n´Roll beeinflusst seid. Ehrlich gesagt, höre ich keinerlei klassischen Rock´n´Roll oder Rockabilly-Elemente in eurer Musik heraus.(Lacht)
Ach, die Dinge haben sich mittlerweile geändert. Wir haben diesen 50er-Jahre-Stempel nach einigen Rezensionen unserer ersten EP “No Fear Of Pop” von verschiedenen griechischen Journalisten erhalten. Frag mich nicht wieso – möglicherweise wegen einigen Beat-Elementen oder unseren damaligen Frisuren. Damals fand ich es ziemlich passend. Unsere Inspiration schöpfen wir eher nach einem großartigen Konzert oder einem besuchten Festival mit liebenswerten Menschen und interessanten Künstlern. Wenn ich von einem Musiker beeindruckt bin, versuche ich am nächsten Tag noch intensiver und durchdachter an das Songwriting zu gehen. Wir finden: Musik zu spielen, ist die treibende Kraft hinter allem.
? Gab es vor VICTIM OF SOCIETY denn nennenswerte Bandprojekte?
Ja, wir haben beide in unterschiedlichen Bands gespielt. Allerdings wirst du im Netz kaum fündig werden, da es sich eher um Jam- und Sessionprojekte gehandelt hat. Es ging mir immer eher darum, Musik als Entstehungsprozess zu beobachten, als live aufzutreten. Ich bin fasziniert von der Idee, was man mit den unterschiedlichsten Individuen zusammen erschaffen kann. Vaggelis hingegen kommt aus der klassischen Ecke. Er hat Piano studiert und sich anschließend autodidaktisch Gitarre, Bass und Schlagzeug beigebracht. Ich habe Gitarre studiert, allerdings nie mein Diplom abgeschlossen. Das Gute an der Musik von VoC ist die Tatsache, dass wir aus unterschiedlichen Denkrichtungen an unsere Musik herangehen. So gibt es immer einen facettenreichen Weg zum Ziel. So lässt sich auch unser vielschichtiger Sound erklären.
? Dringen wir nun etwas tiefer in das Konzept eures ersten Albums “Distractions”, zu deutsch: „Verzerrung/Ablenkung“, ein. Was kannst du mir zum konzeptionellen Gedanken der Platte erzählen?
Das Album ist eine Kollektion von Songs, die wir in den letzten zwei Jahren als VICTIM OF SOCIETY geschrieben haben. Dennoch wollten wir ein homogenes Ganzes auf die Platte bringen und die Stücke zu einer einheitlichen Struktur führen. Letztendlich geht es bei dem ganzen Projekt darum, einzelne Fragmente zu einem schlüssigen Konstrukt zusammenzufassen. Jeder Song kann also gleichzeitig eine Verzerrung, aber auch gleichzeitig eine Veränderung sein. Ich frage dich: Sind es nicht gerade die kleinen Veränderungen, die simplen Entscheidungen und Nuancen, die unser Leben spannend machen? Tristesse ist doch in den seltensten Fällen tatsächlich förderlich… und wirklich befriedgend.
? Außerhalb Griechenlands darf man euch sicher noch als absoluten Geheimtipp bezeichnen. Welche Länder habt ihr außerhalb der Landesgrenze denn bereits live bespielt?
Bisher nur zwei. Das erste Mal war in Skopje in Mazedonien. Dort wurden wir von einigen ehrenamtlichen Konzertveranstaltern eingeladen, die sich um alles gekümmert haben. Das war eine großartige Erfahrung für uns. Solche Menschen halten die Szene am Laufen – wir sind noch immer sehr dankbar dafür. Das zweite Mal durften wir in Berlin im Neuen Berliner Kunstverein auftreten. Dort haben wir anlässlich eines Kunstfilms (Ultimate Substance von Anja Kirschner und David Panos) für den musikalischen Rahmen gesorgt. In einer Kunstgalerie zu spielen, hat schon etwas erhabenes an sich (lacht). Gerne wieder. Wie du dir sicher vorstellen kannst, ist die Situation für griechische Bands nicht gerade einfach, im Ausland Fuß zu fassen. Daher freuen wir uns über jede Einladung und jegliches Interesse an unserer Musik aus aller Herren Ländern.
? Eure Musik konzentriert sich auf viele verschiedene Facetten. Mal groovt ihr euch in einem Stück regelrecht ein, dann ist da diese sphärische Psychedelic-Note. Einwenig Ambient und Chill-Out-Beats, dazu noch diese typische griechische Melancholie, die ich in vielen ähnlich-gearterten Projekten raushöre. Hat die griechische Kultur überhaupt einen stilprägenden Einfluss auf eure Musik?
Ich würde lügen, wenn nicht. Letztendlich schöpfen wir unser kreatives Potenzial aber aus unserem Leben, Erfahrungen und natürlich aus unseren musikalischen Fähigkeiten (lacht). Die griechische Kultur ist eine paradoxe Sache, gerade für uns Griechen. Aus der Musik selbst, wird man sicher eher selten folkloristische Einflüsse heraushören. Dennoch prägt uns als Menschen und Künstler die griechische Tradition und Geschichte. Vor einigen Wochen ist uns bei einem Gig aufgefallen, dass die Stücke urtypisch griechisch klingen, wenn wir sie ausschließlich akustisch spielen würden. Vielleicht ist es ganz gut, sich nicht zu viele Gedanken darüber zu machen, ob es etwas schon mal gab und woher es ursprünglich kommt, sondern schlichtweg weiterhin künstlerisch tätig zu sein. Wir geben stets unser Bestes – für die anschließende Interpretation sind die Zuhörer und Journalisten zuständig.
? Wie sieht es gegenwärtig innerhalb der griechischen Untergrund-Szene aus? Habt ihr befreundete Projekte, auf die wir ein Auge werfen sollten?
Tatsächlich hat die griechische Szene im Moment einiges zu bieten. Wut macht kreativ, wie wir wissen. Aber man muss tief graben. In Athen findest du eigentlich von allem etwas. Von experimentiellem Ambient, Heavy Metal bis zu Modern-Pop. Einige Namen: The Callas, MicroOondas, Message, The Titanics, Mech_inimal, Stereovoid, The You And What Army Faction, The Velvoids, Victory Collapse. Empfehlenswerte Bands aus Thessaloniki sind beispielsweise Alien Mustangs, Psychedelic Trips To Death oder Plastic Flowers.
? Übrigens finde ich euer Album-Cover sehr gelungen und mystisch zugleich. Welche Idee liegt dem Artwork zugrunde?
Danke, das freut mich zu hören. Wir wollen die Menschen dazu auffordern, selbst kreativ zu sein und auch unterbewusst ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Da wir auch unsere Gesangsstimmen mit Effekten unterlegen, kann man sich beim Erstkontakt mit uns nie sicher sein, ob es eine weibliche oder männliche Stimme ist. Das Gleiche haben wir versucht auf das Cover zu projezieren. Freunde haben uns beim Betrachten des Covers gesagt, es sei eine Frau. Viele Fans hingegen sehen darin einen androgynen Mann. Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie Menschen denken und sich deren Persönlichkeit durch einfache Ikonographie und Bildbetrachtung ausdrückt.
? Abschließend bitte ich euch als Künstler darum, die gegenwärtige Lage in Griechenland zu charakterisieren. Wie hat sich das Leben in eurem Freundes- und Bekanntenkreis seit der Krise verändert?
Wie vorhin bereits erwähnt, halte ich das Zitat, dass “Leid und Schmerz zu Kreativität führt” für tatsächlich zutreffend. Wir Griechen sind tagtäglich mit den unterschiedlichsten Problemen konfrontiert. Die meisten müssen sich ihr monatliches Geld gut einteilen – das sind Probleme, die wir in den letzten 20 Jahren nicht hatten. Etwas positives hat diese Krise aber für dennoch für die Kunst und die kreative Szene. Alle künstlerischen Aspekte, ob Musik, darstellende Kunst, Poesie und Literatur, erleben einen kreativen Aufschwung. Irgendwie hilft uns das, diese schweren Zeiten durchzustehen und stimmen uns optimisch. Für die meisten jungen Menschen steht eine sehr unsichere Zeit bevor. Hoffentlich können auch wir mit unserer Musik einen Teil dazu beitragen, den Alltag ein Stück erträglicher zu gestalten.
? Hervorragendes Schlusswort. Wie geht es nach der Albumveröffentlichung mit der Band weiter?
Nach dem Plissken-Festival werden wir noch einige Shows in Athen und der Region Attika spielen. Bis zum Ende des Sommers stehen noch einige Festivals auf dem Programm. Und im Anschluss? Wir fühlen uns momentan beflügelt und inspiriert, daher werden wir bereits recht zügig mit dem Songwriting und ersten Demo-Aufnahmen für unser zweites Album beginnen.
Ich danke dir für das Gespräch.
(Dimitrios Charistes)
„Distractions” ist auf dem griechischen Label Inner-Ear-Records erschienen .
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