Für manche Reviews benötigt man einfach länger. Wie im Fall der New Yorker-Künstlerin FATIMA AL QADIRI. Das Anfang Mai erschienene mystische Debüt der gebürtigen Kuwaiterin hat in meinem Fall mehrere Wochen intensiver Hördurchgänge beansprucht und geraume Zeit verstreichen lassen, bis sich ein zusammenfassendes Urteil herauskristallisieren konnte. Hinzu kommt mein Nichtwissen über subkulturelle Phänomene und Strömungen aus China. Wer sich für das aufgearbeitete Ergebnis interessiert, liest weiter. P.S.: Für wissenschaftliche Interpretationen sind andere zuständig.
Hyperdub Records fokussiert sich in letzter Zeit auf ausgeprägte Frauen-Egos, die mit deutlichem konzeptionellen Ansatz ihre Musik vermarkten möchten. Zu nennen sind da nur die bemerkenswerten Alben von JESSY LANZA oder IKONIKA, die innerhalb der Blogosphäre und Hipster-Kreisel für Furore sorgen. FATIMA AL QADIRI reiht sich mit ihrem geheimnisvollen „Asia-Spuk“ zwischen interkontinentalem Dub- und Grime-Electro in die illustre Frauencrew ein.
„Asiatisch“ ist ein Album, das sich nicht auf Anhieb rational und auditiv erfassen lässt. Einerseits eignen sich die zehn elektronischen Kompositionen für eine expressive Ninja-Performance auf der Tanzfläche. Wer hingegen tiefer gräbt, erkennt diesen akribisch-intellektuellen Ansatz zum Konzept. Ein Faible für chinesische Kunst, asiatische Folklore, fernöstliche Klänge und popkultureller Referenzen sollte der geneigte Rezipient schon mitbringen um das Werk vollends erfassen zu können. Klar wimmelt es vor dem geistigen Auge überall von Shaolin-Tempeln, Drachen-Tattoos und bedeutungsschwangeren Schriftzeichen. Gerne darf es aber etwas abstrakter bzw. alltäglicher sein. So ist der Titel „Szechuan“ eine Hommage an alle China-Restaurants dieser Welt, allerdings mit der altertümlichen Schreibweise verfasst. Außerdem weiß der Billigklamottenkäufer dieser Zeit auch, dass „Shanzhai“ ein gebräuchlicher Code für gefälschte Ware und Hehlerei-Verkäufe ist. Aufgearbeitet wird die Thematik im Song mit synthethischen Panflöten, Steel-Drums und Billig-Effekten. Aha. Und wozu das Ganze?
In Interviews zum Album wird AL QADIRI nicht müde zu betonen, dass in den Köpfen der westlichen Welt ein vorgefertigtes China-Klischee existiert, welches sie bekämpfen möchte. Bei einem ersten Besuch des Landes sind die Reisenden dann doch überrascht (oder schockiert) von der mannigfaltigen Kultur der für uns so fern erscheinenden Volksrepublik. Was ist „Asiatisch“ daher? Eine Kampfansage? Ein Manifest? Eine Aufklärungshilfe? Nach dem ersten Hördurchgang bleibt Ratlosigkeit. Ist „Asiatisch“ nun die Geheimwaffe des Sommers? Sind MELT-Anhänger auf der geschmackssicheren Seite? Oder alles nur cleveres Marketing? Und was soll eigentlich der in Deutsch gewählte Albumtitel?
Musikalisch sind die Produktionen tatsächlich meilenweit davon entfernt, von dem was man hierzulande als konsumfreudigen Dark-House, Ambient oder Post-Dubstep vermarktet. Stellenweise für Nicht-Fernost-Experten unzugänglich, erschafft AL QADIRI mit diversen Videospiel-Bezügen eine stellenweise unheimliche, wehmütige Atmosphäre, die zwar genauso süchtig, wie nachdenklich machen kann. Einen eigenen Genre-Namen liefert die im Senegal geborene Künstlerin auch gleich mit: Sinogrime. Durchsetzungspotenzial gleich null! Zumindest sollen es Tracks wie „Shanghai Freeway“ oder „Dragon Tattoo“ richten, den westlichen Hipster-Kids Fernost schmackhaft zu machen. Übrigens sind keine fortgeschrittenen Schia-Kenntnisse von Nöten. Wer hingegen Mandarin spricht, versteht zumindest die eingestreuten Fragmente im Opener. „Asiatisch“ kann nur an der Oberfläche kratzen. Die Dance-Fraktion tanzt lieber zu Mystery-Tracks wie „Hainan Island“ mit cinematoskopischem Ansatz bzw. Mortal-Combat-Gedächtnismusik. Die nach Referenzen dürstende Bildungs-Elite sucht zwischen den Beats nach geheimen Codes. Klar klingt das alles total mystisch und geheimnisvoll – wirklich auseinandergesetzt hat sich damit bisher nur die SPEX-Redaktion in einer monumentalen Super-Rezi.
In anderen Reviews stellenweise zerrissen, muss gesagt sein, dass die zahlreichen Exotica-Bezüge für alle schleiferhaft bleiben werden, die in ihrer Jugend Berührungsängste mit Kung-Fu-Filmen aus Fernost hatten. Zwar bringt AL QADIRI frischen Wind in den elektronischen Untergrund. Für die Langzeitrelevanz fehlt es allerdings an nachvollziehbaren Motiven. Wer seine exquisite Electronica ohnehin lieber mit Kopfhörern und in Mitteleuropa genießt, darf gerne „nur“ beeindruckt mit den Füßen wippen. Also dringend mal wieder Zeit einen Martial Arts anzuschauen, unterlegt mit der Musik von FATIMA AL QADIRI. Diese Saison tanzt man zumindest „asiatisch“.
Und wo bleibt jetzt das Fazit? Tja, verstanden habe ich dieses ominöse Debüt leider immer noch nicht. Einen zweiten Teil der Review reiche ich im Jahr des Drachen bei Gelegenheit mal nach.
(Dimitrios Charistes)
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