ZOHARUM oder die Kunst der Alternative

Ein Label zu betreiben ist in der heutigen Zeit ein Wagnis, wenn man den aktuellen Pressemeldungen glauben mag. Sinkende Verkaufszahlen, Schwierigkeiten mit Vertrieb und Werbung machen es zu einem persönlichen und finanziellen Wagnis, Musik zu veröffentlichen. Doch in jeder Krise liegt eine Chance. Das im polnischen Gdansk beheimatete Label ZOHARUM zeigt, wie mit Leidenschaft und Innovation aus einer kleinen Idee ein großes Werk werden kann. Trotz oder gerade wegen der Medienvielfalt, der wir uns heute gegenüber sehen, ist es für neue Labels schwer, die nötige Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um wirtschaftlich sinnvoll arbeiten zu können. Dies gilt für den Mainstream genauso wie für Subkulturen, denn auch in Bereichen, in denen man eine klar abzugrenzende Zielgruppe vermutet, die leicht angesprochen werden kann, haben sich die Kommunikationskanäle vervielfältigt. Das spüren auch die aktiven Gestalter der Szene, die landläufig unter dem Begriff „Industrial“ zusammengefasst wird.

Industrial, oder die Kultur, die unter diesem Begriff gesammelt wird, ist Ende der 70er im Art-Kontext entstanden. Inspiriert von Punk, wirtschaftlicher Misere und angewidert von mittelständischen Konventionen begannen junge Künstler in London damit, gesellschaftliche Werte herauszufordern. Krach, Pornographie, Krankheiten, Selbstmord, Körperkultur jenseits der werbetechnischen Idealvorstellung und Homosexualität sind nur einige der Themen, die im Vordergrund standen und Öffentlichkeit entsprechend verstörten. Diese oft ungezielt erzeugten Eruptionen an kreativer Extremheit verschwanden wieder genauso schnell von der Bildfläche wie sie erschienen waren, doch die Melange aus Symbolen, Klängen und Posen war äußerst innovativ. Wenig verwunderlich also, dass sich aus wenigen Performances und richtungsweisenden Konzerten eine Stilrichtung entwickelte, die bis heute existent ist. Dem Industrial folgte schnell der Post-Industrial und im Unterschied zu seinem Vorgänger umfasst dieses Genre mehrere Musikrichtungen, hat aber die gleiche Affinität zur gestalterischen Kunst und Performance. Der Übergang zwischen diesen beiden Kategorien ist fließend; personelle Überschneidungen zwischen Industrial und Post-Industrial sind nicht selten, und doch machte es dieser Übergang leichter, lokale Eigenheiten und den jeweiligen Zeitgeist bei der Interpretation der stilbildenden Symbole einzubinden. Post-Industrial ist vielseitig.

So ist auch das polnische Label ZOHARUM beeinflusst von der Musik und polarisierenden Szene, die über die Begriffe „Industrial“ und „Post-Industrial“ ausgehend von den britischen Inseln Subkultur bis heute beeinflusst. Das in Gdansk (Danzig) ansässige Label versteht die Begriffe als einfachen Gegenpol zum Mainstream, und beansprucht für sich, Kunst und Musik nicht ausschließlich wirtschaftlichen Kriterien als Maßstab zu unterwerfen. Zentral ist hier vielmehr der Gedanke sich zu unterscheiden, sich als Community dem verallgemeinernden Mainstream bewusst entgegen zu stellen, um Kunst und Musik zu fördern, die spannend ist, aber nicht zwangsläufig verkaufsorientiert. Gegründet wurde das Label ZOHARUM im Jahr 2007 und hatte ursprünglich nur den Zweck, ein Album der Band BISCLAVERET zu einem klar definierten Datum zu veröffentlichen. „Unser Album Les Mannequins ist dem Autor Bruno Schulz gewidmet und unser Plan war, es genau am Geburtstag dieses Schriftstellers, dem 12 Juli, zu veröffentlichen“, erzählt Maciej Mehring, Mitglied der Band Bisclaveret und Mitgründer des Labels ZOHARUM. „Als wir kein Label fanden, das uns diesen Zeitpunkt als Veröffentlichungsdatum garantieren konnte, beschlossen wir, für diesen Anlass ein eigenes zu gründen. So entstand ZOHARUM.“

Was aus der Notwendigkeit, ein künstlerisches Konzept exakt umzusetzen aus der Taufe gehoben wurde, entwickelte sich schnell zu einem Selbstläufer. Befreundete Künstler wurden auf das Projekt aufmerksam und schlugen vor, auch ihre Alben über das Label zu veröffentlichen. Heute, sieben Jahre nach der Gründung, umfasst der Label-Katalog 70 Alben von verschiedenen Künstlern. Der Name selbst ist ein Wortspiel, verwendet als Wortwurzel das hebräische Wort „Zohar“, was „strahlender Glanz“ bedeutet und in der Kabbala als das wichtigste Schriftwerk gilt. Analog dazu wird jedes Release auf ZOHARUM mit dem Präfix „Zohar“ katalogisiert, so hat zum Beispiel Strom Noir’s Album „Urban Blues“ die Katalognummer ZOHAR 060-2. Für Musiker ist das Label ZOHARUM interessant, weil es trotz Erfolgs und steigendem Bekanntheitsgrad seinen Grundsätzen stets treu geblieben ist. Jedem Act, der in das Roster des Labels aufgenommen wird, widmen die Macher die gleiche Aufmerksamkeit und Leidenschaft wie der eigenen Band. Sie kümmern sich bei Bedarf um Artwork, Produktion und Fertigung von Alben, organisieren Bewerbung und Vertrieb und halten Kontakt zu Veranstaltern und Magazinen.

„Wir verstehen und stark als Gemeinschaft“, erklärt Maciej die Philosophie des Labels. „Jeden Act, den wir aufnehmen, verstehen wir als Teil unserer Familie. Wir kümmern uns um seine Belange und legen viel Wert darauf, dass sich die Künstler bei uns zuhause fühlen.“ Diese Herangehensweise kommt an. Mittlerweile sind nicht nur polnische Musiker auf ZOHARUM beheimatet, sondern auch Künstler aus dem restlichen Europa und Russland.

Doch die Aktivitäten beschränken sich nicht nur auf Musik. Auch Künstler und Fotografen werden gerne in die Gemeinschaft aufgenommen und deren Werk trägt bei zu der Webpräsenz des Labels als auch zu der grafischen Aufbereitung der Platten. Hier schließt sich auch wieder der Kreis zum eingangs beschriebenen Post-Industrial. Musik an sich ist nicht nur Selbstzweck, sondern Bestandteil eines übergeordneten Konzeptes, zu dem neben Klangträgern auch die visuelle Gestaltung gehört. Dem Design von Covern und Entscheidung über Veröffentlichungsformat wird bei ZOHARUM ein hoher Stellenwert zugeordnet. Die Medien der Wahl sind meistens CDs, die entsprechend hochwertig aufbereitet werden und in limitierter Auflage erscheinen. Damit ist dieses Medium mehr als nur das Transportmittel für die Musik. Das Artwork und die Aufmachung sind Bestandteil des Packages und ZOHARUM lässt es sich nicht nehmen, dafür unorthodoxe Gestaltungsvorschläge zu realisieren.

Bei so viel Aktivität ist es überraschend, dass keine der drei Personen, die bei ZOHARUM arbeiten in Vollzeit für das Label tätig sind. „ZOHARUM zu betreiben und Musik zu veröffentlichen, ist eine Leidenschaft, die keiner von uns aufgeben möchte“, sagt Maciej. „Aber es ist klar. In dem Kontext, in dem wir arbeiten, ist es schwer von den Erträgen zu leben, die das Label abwirft. Aber das ist auch nicht unsere Absicht. Wir haben alle noch einen geregelten Job, dem wir nachgehen und das garantiert uns die Unabhängigkeit die wir brauchen, um dieses Label so zu führen wie wir es uns vorstellen.“ Diese finanzielle Unabhängigkeit bewährt sich. Bei der Auswahl der Künstler können sich Maciej, Radek und Michal Freiheiten erlauben. Neue Bands zu rekrutieren, ist bei ZOHARUM keine Einbahnstraße. Künstler haben die Möglichkeit, das Label anzuschreiben, aber die Macher sind sich nicht zu fein, interessante Musiker für das Label anzuwerben. Zeit spielt dabei keine Rolle.

ZOHARUM als Konzept ist zukunftweisend. Die Aktivitäten der Macher beschränken sich nicht nur auf das Betreiben des Labels, sondern daneben gibt es noch eine Menge weiterer Tätigkeiten, die über reine Labelarbeit hinausreichen. Mit Alchenbria.pl wurde ein Web Store ins Leben gerufen, über das nicht nur die eigenen Produktionen vertrieben werden, sondern auch Musik aus anderen Quellen. In dem Webshop können über 1.000 Titel abgerufen werden. Weiterhin betrieben die Macher das Magazin Hard Art, das sich nicht nur mit Musik beschäftigt, sondern auch mit Kunst und gesellschaftlichen Themen. Durch diese Vielzahl an Tätigkeiten verfügen die Musiker über ein ausgedehntes Netzwerk, das über die polnischen Landesgrenzen hinausreicht. Teilnahme an verschiedenen Festivals, Kontakte zu Veranstaltern und Magazinbetreibern ermöglicht es, Platten und Musiker gezielt zu fördern.

Diese Menge an Tätigkeiten fordert natürlich seinen Tribut. „Mittlerweile sind wir nicht mehr in der Lage, das gesamte Material, das uns zugesendet wird entsprechend zu hören, geschweige denn zu veröffentlichen“, so Maciej zu der Gegenwart des Labels. „Wenn wir aktuell alles veröffentlichen würden, das uns gefällt, wären wir bei 10 Platten im Monat und dieser Aufwand ist für uns nicht zu stemmen.“ Doch auch hier greift die Philosophie des Labels. Kann Material nicht über ZOHARUM veröffentlicht werden, wird der Kontakt zu anderen hergestellt, wo eine Veröffentlichung wahrscheinlicher ist. „Andere Labels sehen wir nicht als Konkurrenz“, sagt Maciej. „Wir ziehen alle am gleichen Strang und am Ende geht es ja darum, guter Musik eine Öffentlichkeit zu geben.“

ZOHARUM ist ein zukunftweisendes Projekt, das sich mit Leidenschaft, aber auch durch klare Strukturen zu behaupten weiß. Durch diesen Erfolg gelingt es, lokale und überregional bekannte Künstler wie HYBRYDs zu begeistern. Wir erleben hier ein gesund wachsendendes Projekt, das zu überraschen weiß.

(S.Kummer)

 

 

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