Mit PRISONERS ist dem US-Regisseur Denis Villeneuve im letzten Jahr ein wahres Kino-Juwel gelungen. Der düstere Thriller im Stile von „Sieben“ oder „Mystic River“ mit Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal in den Hauptrollen beschäftigt sich mit der sensiblen Thematik der Kindesentführung und Misshandlung. Das Szenario entführt den Zuschauer in eine trostlose Kleinstadt, in der Rachegelüste und Selbstjustiz auf der Tagesordnung stehen. Der stimmungsvolle und ungemein-spannende Film wirft gegen Ende zwar große moralische Fragen auf, vermittelt mit seiner traurigen Gesamtoptik aber gleichzeitig ein melancholisches Bild der leidenden Durchschnittsgesellschaft.
Vor allem die eindringliche Filmmusik mit ihren todtraurigen Kompositionen schafft es, die distanzierte und leblose Innenwelt des leidenden Vaters auszudrücken, der seine vermisste Tochter zurückhaben möchte. Und genau diese leidende Grundstimmung macht den Soundrack auch für die verehrte BLACK-Leserschaft relevant. Verantwortlich hierfür zeichnet sich hier der isländische Komponist, Produzent und Elektronik-Künstler Jóhann Jóhannsson, der den Schaffensprozess seiner Musik auf zwei Ebenen verstanden haben will. „Auf der einen Seite gibt es die lyrische, poetische Anziehung, der den Horror aus den Szenen im Film kreiert. Die Violinen und Holzbläser bekräftigen die Filmästhetik und Bildsprache, während die elektronischen Mittel zur Spannungserzeugung eingebaut wurden“. Immer wieder integriert er altertümliche, barocke Musik in elektronische Soundspielereien und hat sich mit dieser markanten Stilistik, wie sie auch ULVER zu pflegen wissen, einen gewissen Ruf in der Filmmusik-Szene erspielt. Mit einem Orchester in den London Air Studios aufgenommen, setzen die 16 Stücke mit dem depressiven Leitthema „Prisoners“ auch auf eine Kollaboration mit Thomas Bloch (Radiohead, Daft Punk) und dem Multinstrumentalisten Cristal Baschet, der mit dem alten „Ondes Martenot“-Instrument gespenstisch-anmutende Klänge, artverwandt mit einem Theremin, erzeugt.
Außerdem wurde während des Aufnahmeprozess auf alte Instrumente gesetzt, die dem Soundtrack eine organische Grundstimmung verpassen. Für die mittlerweile immer häufiger in Filmen eingesetzten Drones und Dark-Ambient-Passagen zeichnen sich der norwegische Komponist Erik Skodvin (Deaf Center, Svartre Greiner) und Hildur Guðnadóttir verantwortlich, die in ihrer Freizeit sicher recht viel LUSTMORD und Konsorten gehört haben. Selbstverständlich wirkt Filmmusik oft nur in Anbetracht von Bildern perfekt und stimmig. Dennoch kann die Musik in diesem Falle für sich allein als kontemporäre Neoklassik stehen. Mit ihrer sentimentalen Magie gehören die Stücke auf dem PRISONERS-OST auf die gleiche Stufe wie die melancholischen Soundtrack-Arbeiten von NICK CAVE und WARREN ELLIS („The Road“) gestellt. Auch um die Nennung artverwandter Tendenzen vom legendären Ennio Morricone kommt man nicht herum, während Jóhannsson selbst, Bands wie COIL, SWANS und STEVE REICH als Einflüsse angibt.
Die sakrale, düstere Atmosphäre schafft es zumindest mich zutiefst zu berühren und in ihren Bann zu ziehen. Es bietet sich natürlich an, die großartige Filmvorlage im Vorfeld gesehen zu haben, ist aber nicht zwingend notwendig, zur Entfaltung ganz großer Schöpfungskunst für Tagträume abseits von Sonne und Licht. Anspieltipps: The Lord´s Prayer, Escape und Prisoners.
(Dimitrios Charistes)
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