VDO Interview mit JORDI VALLS

Jordi Valls „Vagina Dentata Organ” ist bestimmt nicht nur für mich eines der extremsten Projekte und gewiss auch deswegen eines, das mich bereits seit Jahren fasziniert, selbst wenn seine Tonträger nicht zu jenen gehören, die ich am häufigsten höre. „Vagina Dentata Organ“ live zu erleben, war allerdings ein wirkliches Erlebnis, selbst wenn es nur etwas über eine Viertelstunde dauerte, auch hier überwog Intensität (und womöglich Extremität) die Quantität. Mit das Beste an dem Konzert war jedoch, dass es den Weg für folgendes Interview ebnete.

? Der Name „Vagina Dentata Organ“ klingt etwas sonderbar, weckt aber auch Interesse. Warum hast du ihn gewählt? Ist dieses Organ etwas, vor dem man Angst haben sollte wie vor der „cosmic violence“ („An allegory of cosmic violence“ ist der Name einer CD Veröffentlichung von VDO; Anm. f777)?

VDO ist eine mythische Kreatur, eine „cunt“ mit Zähnen, jederzeit bereit Langeweile und Launigkeit zu kastrieren. Gleichzeitig möchte ich gegen christliche Enthaltsamkeit provozieren und mag es, Musik und Kunst zu entmystifizieren.

? Woher weiß man, dass man die „fanatischste Band der Welt“ (Selbstbezeichnung von VDO, Anm, f777) ist?

Durch das, was ich mache, meine Gedanken gehen nur in eine Richtung. Ich bin ein Fanatiker. VDO ist die fanatischste Band in der Welt.

? Wie fandst du deine Livevorstellung in Berlin (und die Stadt an sich)? Was waren die Hauptunterschiede zu deiner Performance auf dem Festival in Bristol?

Wir sind alle Europäer heutzutage. Für mich gibt es keine Unterschiede bezüglich des Publikums in verschiedenen Ländern. Der größte Teil der Leute schien Spaß zu haben und meinem „urban guerilla“ Plan zuzustimmen. Gleichzeitig hatte ich großes Glück, in Berlin, Bristol und Paris, Michael Gillham, den Meisterschlagzeuger zu haben. Der Sound war Krieg. Hundehoden! („The dog’s bollocks” ist ein Zitat aus dem VDO Album “The great masturbator”.)

? Könntest du was zu dem Blut sagen, welches während deiner Vorstellungen manchmal vergossen wird und das manchmal auch in deinen Kunstwerken (und sogar in Vinylschallplatten) vorhanden ist?

Dazu möchte ich sogar drei Dinge sagen: Zuerst einmal, ja, als ich 1984 die „The Pagan Drums of Calanda“ Picturedisc veröffentlichte, gab es davon ein paar Exemplare mit eingearbeitetem trockenem Blut, da ich meinen Finger mit einer Rasierklinge geschnitten hatte. Damals habe ich diese Platten für 100 Pfund verkauft, ich bin mir sicher, bei ebay gehen sie heutzutage teurer weg. Zweitens bin ich zwischen 1993 und 1995 alle drei Monate in ein Londoner Krankenhause gegangen, wo mir eine Krankenschwester etwa ein halbes Pint Blut abzapfte, mit dem ich dann zwölf größere und mittlere Leinwände bemalte, die Topmodels gewidmet waren. Vielleicht sollte ich hinzufügen, dass ich bis 1993 Blutspender gewesen bin. Jedes Gemälde trägt den Namen eines Topmodels. Dann wurde ich durch Eric und Marc Hurtado von Étant Donnés zu einer Ausstellung in der Grenoble’s Art High School in Frankreich eingeladen, diese Bilder auszustellen. In der Nacht vor der Eröffnung der Blut auf Leinwand Gemälde lud ich alle Kunststudenten ein, Farbkanister mitzubringen und sexuelle Graffiti auf die Innenwände der Schule zu malen. Das war ein Riesenerfolg. Nicht nur die Studenten machten mit, auch viele Lehrer malten Vaginen und Penisse überall hin. Wir hatten alle eine gute, sehr interessante Zeit in der Kunsthochschule, wo wir Champagner und Dry Martinis tranken, die uns ein Profi servierte. Und drittens, wenn ich meine Liveveranstaltungen mache und Spiegel mit einem Hammer oder einem Baseballschläger zerschlage, verletze ich mich manchmal an Glassplittern und verliere etwas Blut, allerdings ist das ziemlich irrelevant.

? Gibt es etwas typisch Katalanisches an deiner Kunst? Ich frage nicht nur wegen des „Chien Catalan“ Albums, sondern auch, weil du dich ja auf DalÍ und Perpignan usw. beziehst.

Ich werde immer ein Londoner Junge aus Barcelona sein. Ich bin froh, so viele Jahre in London gelebt zu haben. Diese Stadt kann manchmal ziemlich hart und schwierig sein, aber am folgenden Tag bist du dann schon wieder spitze, fühlst dich wie der „King“. Wenn du London überlebst, kannst du die Welt erobern. Andererseits bin ich verrückt nach Salvador Dalí, seitdem ich ein Kind in Barcelona gewesen bin. Meine Schulbücher waren voller Zeichnungen mit seinem Namen über alle Seiten hinweg. Ich liebte sein Gemälde, seine Bücher und seine unglaublich cleveren Interviews. Ich nahm den Surrealismus sehr ernst, er erhielt mich am Leben gegenüber allem und jedem. Ihm verdanke ich, dass ich mich schon so früh in meinem Leben so stark fühlte.

? Nachdem ich das Interview mit John Eden auf „Datacide“ gelesen habe, frage ich mich, ob ich eher nach London als nach Katalonien hätte fragen sollen. In diesem Interview sprichst du auch davon, dass der Surrealismus mit Dali gestorben ist. Wie das denn? Kann eine Kunstrichtung so sehr mit einer einzigen Person verbunden sein?

Was ich in dem „Datacide“ Interview meinte ist, dass Surrealismus sich entwickeln oder einen sehr gewaltsamen Tod sterben muss. Ohne Evolution oder Richtungswechsel seit den „hardcore“ Zeiten von Andre Breton, Man Ray, Luis Bunuel, Yves Yanguy, Hans Arp, Tristan Tzara, Max Ernst, Paul Eluard, Rene Crevel und Salvadore Dali wird der Surrealismus einen langsamen und schrecklich traurigen Tod sterben. Der Surrealismus braucht eine darwinistische Evolution oder er wird sterben.

? Gehen wir weiter zurück in der Geschichte: Was war deine Verbindung zu Psychic TV?

Mein allererster Kontakt mit der elektronischen Musik Londons waren Throbbing Gristle. Genesis P-Orridge traf ich zufällig mitten in London, wir haben uns über eine halbe Stunde unterhalten. Dann organisierte ich eines der ersten TG Konzerte in London im Centro Iberico, dem Zentrum der spanischen Anarchisten in der Harrow Road. Ungefähr zu selben Zeit hörte ich das „Peter Kurten“ Album von William Bennetts Whitehouse. Ich war so beeindruckt, dass ich ihm einen Brief schrieb, ob er jemals live spiele. Zwei Tage später rief er mich an, wir trafen uns und ich organisierte die erste Whitehouse „Live Action“ im „Whisky – a – Go Go” in der Wardour Street in Soho. Dank Genesis und William wurde ich in den Londoner Musik Untergrund eingeführt und freundete mich eng mit Steve Stapleton von Nurse With Wound, David Tibet/Current 93, dem großartigen Monte Cazazza, Glenn Wallis von den Konstruktivists, Jhonn Balance von PTV, später Coil, den Isländern Hilmar Örn Hilmarsson und Einar Örn Benedicktsson von den Sugar Cubes, heute Ghostigital, an. Und so vielen anderen Musikern.

? Kannst du mir einen Tipp geben, was wir von dem kommenden Album “Irene’s Cunt” zu erwarten haben? Wie lange müssen wir noch warten?

Der Soundtrack zu “Irene’s Cunt” ist fertig und kann zum Presswerk. Jetzt muss ich nur noch mit meinem Bruder Marc das Artwork zu Ende bringen, was nur eine Frage der Zeit ist. Der volle Titel lautet: Vagina Dentata Organ, Entertaining The World, Irene’s Cunt.

Gràcies.

Foto2: Salvador Costa

(flake777)

 

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