V.A. – VERNACULAR (2CD)

Wer aufgrund des dunkel und minimalistisch gehaltenen, dabei aber sehr geschmackvollen Designs sowie der Liste der vertretenen Interpreten darauf schließt, dass „Vernacular“ eine „urwüchsige Sprachvarietät“ der vorwiegend dunklen Art ist, liegt richtig. Aufschluss über das Konzept dieser Kompilation gibt das ebenfalls angenehm gestaltete Begleitheft, kurz gefasst geht es wohl darum, inwieweit sich – trotz der modernen Kommunikationsmedien – der Produktionsort von Musik (noch) in dieser widerspiegelt bzw. wiederfinden lässt.

Den Auftakt macht das aus organisch klingenden Drones bestehende „Sketches of You“ von HIOR CHRONIK, das den geneigten Hörer und/ oder die geneigte Hörerin sanft, aber doch mit einiger Sogwirkung, in diese musikalische Weltreise einführt. Nach einem Titel von STEVE RODEN, der eine einfache Melodie und einen wohl aus Feldaufnahmen bestehenden Rhythmus zusammenzimmert, erklingt „Blue Planet Sky“ von YUI ONODERA, der auch der Produzent der Zusammenstellung ist: Ein mysteriös knarrender und schabender, leiser und faszinierender Track, irgendwie unaufdringlich und doch über zwölf Minuten unaufhaltsam in Ohr und Kopf dringend. Auch der Track von JANEK SCHAEFER beginnt sehr leise, beinhaltet aber zudem hallend akustische Elemente, die mich entfernt an „world music“ denken lassen, was natürlich zu dem Konzept dieser Kompilation irgendwie passen würde, wenn ich mir allerdings den Titel des Stücks anschaue – „Rest in Peace knowing the Sound of Angels“ – sollten die von mir erwähnten Elemente wohl eher nach Engeln erinnern. Jedenfalls einmal mehr ein leise knackendes, schönes „Lied“. Schlicht „July, 10 2012“ betitelt ist der Beitrag von KENNETH KIRSCHNER, eine stellenweise verträumt bis verspielt wirkende Pianokomposition (oder –improvisiation?). Nach SIMON SCOTTs „Adventurers Fen“, welches mit Feldaufnahmen aus East Anglia einen faszinierenden Soundteppich inkl. schöner „drones“ und Vogelgezwitscher webt, bildet „Tenebrae“ von TU M‘ aus Italien einer eher dem Dark Ambient zuzurechnenden Abschluss der ersten CD.

Aus Argentinien indes stammen die Feldaufnahmen von FREDERIC DURAND, die, „Magnolia“ betitelt, den zweiten Silberling „Vernaculars“ eröffnen und angenehm verspielt klingen, wobei hier zweifelsohne auch akustische Saiteninstrumente aufgenommen bzw. nachträglich eingespielt worden sind, es sich also nicht durchgängig um „experimentelles Gefrickele“ handelt. DALE LLOYDs exakt vier Minuten dauernder Beitrag geht indes genau in jene eher experimentelle Richtung, zwingt einen stellenweise ziemlich zum konzentrierten Zuhören, um die minimalen Variationen in seinen Klängen wahrnehmen zu können – wer sich darauf einlassen kann und möchte, wird nicht enttäuscht. Auch „Vangsaa: Revisited, Reduced“ von JOS SMOLDERS biedert sich dem Hörer ganz gewiss nicht an: Völlig aus Aufnahmen von Wind und womöglich Flugverkehr bestehend, jedenfalls sehr minimalistisch, ist es auf eine Art „anspruchsvoll“, die gewiss nicht jedem und jeder zusagt. Abwechslungsreicher und mit seinen oft überraschend einsetzenden Noise-Frequenzen kann man sich YVES DE MEYs „Local Fracs“ gut als Soundtrack zu einem Horror- oder Slasher-Film vorstellen, wobei es natürlich auch ohne visuelle Unterstützung als spannendes Musikstück von etwas über sieben Minuten überzeugt. Kurz und erneut mit Wind- bzw. Atemgeräuschen „spielend“ erklingt KIM CASCONEs Beitrag gleichermaßen dunkel und geheimnisvoll sowie irgendwie entspannend, bevor dann mit „Welcen“ von TROUM einer der Höhepunkte dieser Doppel-CD ertönt – und bei dieser zugegebenermaßen nur wertenden Beschreibung des Stücks will ich es hier auch mal gerade belassen: Hört es euch an, Freundinnen und Freunde der „drones“! Der Titel des interessanten Beitrags von JOHN GRZNINICH sagt es eigentlich schon: „Animate Structures #2 (wires, wind, snow)“ ist durchaus wieder dem sehr experimentellen Bereich zuzurechnen, der seine Aufnahmen nur wenig verformt, um sie im konventionellen Sinne angenehm klingen zu lassen. „Breaking Clouds apart“ von LAWRENCE ENGLISH, ein womöglich minimalistisch wirkendes, aber alles andere als simples und wie ich finde sehr gelungenes Werk aus Soundflächen und rumorenden Drones, schließt den akustischen Reigen um die Welt (der natürlich nicht perfekt ausgewogen und global gesehen nicht repräsentativ sein kann).

„Vernacular“ ist ein sehr interessantes musikalisches Projekt mit vielen Beiträgen, die ich ohne die kompilierende Arbeit von YUI ONODERA wohl niemals kennen gelernt hätte, wobei selbstverständlich nicht jeder Beitrag gleichermaßen überzeugt und gefällt und manche Tracks meiner Meinung schlicht auch etwas zu lang geraten sind. Freunde experimenteller Musik mit offenen Ohren, die es weniger auf die Komplettierung ihrer Sammlung als auf das „Aufnehmen“ anderer Arten von Sounds annehmen, werden hier gewiss einiges für sie Interessantes und Wohlklingendes entdecken. Inwieweit man den Stücken auf den beiden CDs indes ihren Herkunftsort anhören kann, der Aufgabe dies herauszufinden muss sich jede Hörerin und jeder Hörer selbst stellen.

(flake777)

Format: 2CD
Vertrieb: Whereabouts Records
 

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