Die Begegnung von Monstern und Mädchen gehört zu den typischen Motiven des klassischen Horrorfilms. Während es mit den Monstern in der Regel ein böses Ende nimmt, kommen die Mädchen nach ein wenig Schreierei (nahezu unerreicht hier: Fay Wray in King Kong) zumeist mit dem Schrecken davon. Da verwundert es kaum, dass die 1980 geborene Lyrikerin und Poetry Slam-Aktivistin Nora Gomringer ihren mittlerweile sechsten Gedichtband Monster Poems mit Monster & Mädchen eröffnet, einer lyrischen Reflexion zur Genese des Ich und den Monstern, die in jedem stecken. In weiteren 24 Texten widmet sich Gomringer nicht nur den allseits bekannten Monstern der Popkultur, sondern auch den realen, menschlich-allzumenschlichen Monstern der jüngeren Zeitgeschichte. Dabei stößt sie zwangsläufig auch auf jene Monster, die in einem jeden von uns stecken und nur auf den passenden Moment lauern, um ihre erschreckenden Fratzen zu enthüllen und mit ihren Krallen zitterndes Fleisch zu zerreißen.
In Widergänger etwa werden der KZ-Arzt Josef Mengele und Filmserienmörder Freddy Krüger gegenübergestellt, während sich in Versionen die Toteninsel Arnold Böcklins verwandelt in das Schlacht-Feld des Anders Breivik auf der Insel Utöya. P hingegen berichtet Unbekanntes aus der Wohngemeinschaft von Norman Bates und Sylvia Plath und zeigt auf, welche Schrecken im Biotop Familie gedeihen können. In Mann aus dem Kongo geht es nur vordergründig um King Kong, vor allem behandelt Gomringer hier den barbarischen Umgang der Bestie Mensch mit seinen Vettern, den Menschenaffen. Ebenso widmet sich auch Hai der oft fatalen Interaktion zwischen Tier und Mensch, machte doch erst Steven Spielbergs Thriller den Raubfisch zwar einerseits zum Star, degradierte ihn aber andererseits auch zum ausrottungswürdigen Monstrum, da ihm der Film das Image des sinnlos tötenden Menschenfressers verpasste. Geschöpfter schließlich thematisiert die problematische Vater-Sohn-Beziehung zwischen Viktor Frankenstein und seiner im Patchworkverfahren hergestellten Kreatur, die in keine Patchworkfamilie passen wollte. Zu Kurzauftritten kommen auch Nosferatu, einige Rieseninsekten, Godzilla, der Golem – und in das Gesicht von Richard Gere schaut man plötzlich mit einigem Unbehagen.
Ihren Sujets nähert sich Gomringer mal mit einem Augenzwinkern, mal mit den geschlossenen Augen, die vor dem Bösen schützen, mal mit dem Blick, der sich, aller Furcht zum Trotz, nicht abwenden kann vom Schrecklichen. Sie bedient sich einer Sprache, die Wortspiele und Wortwitz nicht scheut, die mit Andeutungen und Doppeldeutigkeiten leichthändig operiert und so die Bandbreite menschlicher Ängste auslotet, deren Ursprünge zumeist in der Kindheit liegen. Jedem Gedicht beigegeben ist eine Collage des Grafikers Reimar Limmer, der es in kongenialer Weise versteht, die Themen der Texte aufzugreifen und die dort beschworenen Ängste mit feinem Humor zu bannen. Abgerundet wird das sorgfältig gestaltete Künstlerbuch mit einer CD, auf der Nora Gomringer ihre monströsen Gedichte vorträgt und auf diese Weise einen weiteren Interpretationsraum eröffnet. So sind die Monster Poems gleichermaßen lesenswert, sehenswert und hörenswert.
(M. Boss)
Format: BUCH+CD |
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