Die Skizze auf dem Cover ist nicht nur Grafik; es ist die Darstellung der geplanten Erschließung von Onkalo, dem weltweit ersten ernst gemeinten Atommüllendlager, das seit 2004 in Finnland gebaut wird. Als Tunnelsystem in 500m Tiefe in solidem(?) Felsgestein, ab 2120 komplett gefüllt und „endgültig“ versiegelt, geplant für eine Haltbarkeit von mindestens 100.000 Jahren. Offensichtlich gehören zum Projektteam neben Ingenieuren somit wohl auch Wahrsager und Propheten. Oder zumindest Leute mit ausgeprägtesten Selbstvertrauen. Nun denn, aber: vielleicht ist Petrels’ „Onkalo“ mit der Wahl dieses Titels (und weiterer, die einzelnen Tracks betreffend) damit sogar so etwas wie eine politische Platte?
Wie schon auf „Haeligewielle“ und der EP „All Things In Common“ baut Oliver Barett aka Petrels ein wahres Multischichtmonster von Veröffentlichung. Und das ein weiteres Mal, ohne die Hörer mit dieser Dichte und den Milliarden an Details zu überrollen. „Onkalo“ setzt dabei auf deutlich mehr Chorpassagen und überhaupt Stimme als die beiden Vorgänger und auf die Klangästhetik von Streichinstrumenten. Zumindest auf den ersten Höreindruck ist die „Onkalo“ dadurch sehr melancholisch, fast wie ein Requiem; nach und nach aber, mit jedem neuen Hören, gewinnen die anderen Elemente an immer mehr Kraft: fast unterirdisch versteckte, treibende Perkussion als Basis für das streicherdominierte Chorstück „On The Dark Great Sea“, zum Beispiel. Und gerade dieser Gegensatz zwischen melancholischer Elegie und fast manischem Trommeln, auch wenn letzteres dabei sehr leise bleibt, hebt dieses Stück auf eine neue Stufe ganz eigener Faszination. Dass die Perkussion, während des Stücks wie ein Teppich wahrgenommen, dann auch noch ein wirklich definiertes Ende hat (und so, zusammen mit den leichten Timing-Schwankungen, den ohnehin latenten Eindruck eines tatsächlich live eingespielten Parts anstelle von Programmierung zu bestätigen scheint), ist vielleicht nur ein für viele unbedeutendes Detail, bestätigt aber genauso auch ein weiteres Mal die Detailverliebtheit von Petrels, seinen Wunsch, den Fluss eines Stücks kompositorisch, soundlich und dynamisch maximal auszureizen.
Neben Stücken, die die oben beschriebenen Gegensätze vereinen auch soundlich leichtere, (semi)ätherische Stücke wie „White And Dodger Herald The Atomic Age“ (sic!), das über verfremdete Vocals und zirpende Sounds eine luftige Fläche baut, bevor ein catchy Schub aus Bassdrones das Stück völlig neu ordnet, fast zum Ausbruch nach irgendwo, und mal eben noch weitere Melodien addiert. Eine Art von Aufbau, den das an zweiter Stelle gesetzte, deutlich längere Giulio’s Throat“ auf eine subtil verhaltenere Art bereits angedeutet hatte. Den Kern der Veröffentlichung stellt aber, zumindest für mich, das in Bezug auf die anderen Stücke auf „Onkalo“ geradezu überlange „Characterisation Level“ dar: im Beginn ein verhallter, geräuschhafter Drone, der sich schon bald als (Gitarren?) Feedback materialisiert, das im Weiteren als Ausgangsmaterial für eine widerborstig windende Melodie genutzt wird, immer weiter ergänzt durch subtile Erweiterungen bis hin zu einer fast symphonischen Schichtung. Mit einem Wandel im Sound, der dem langsamen Zunehmen elektronischer Begleiter die Tür öffnet und dem völlig unerwarteten, aber völlig passenden, geradezu logischen Twist zu einem treibenden 4/4 (Proto)Techno, der dann sogar noch die zweifache Dosis an Tribal bekommt, bevor die Sequenzer das Kommando übernehmen. Klingt nach Overload (wenn beschrieben), klingt absolut überzeugend und mitreißend, wenn gehört…
„Kindertransport“ (als Wort eigentlich besetzt durch Ereignisse im Zweiten Weltkrieg; keine Ahnung, in welchem Sinne Petrels das Wort hier benutzt, außer als Titel…) ist dann nicht nur als Albumcloser, sondern auch musikalisch Requiem: eine Streicherkomposition, irgendwo auf der Grenze zwischen Schwermut und Hoffnung. Waren schon die bisherigen Veröffentlichungen von Petrels von einer ganz eigenen Qualität, so legt er mit „Onkalo“ tatsächlich noch nach: Kompositionen, Sounds und Sounddesign, Dynamik und das paradoxe Zusammentreffen von Homogenität und Überraschung; für die Konkurrenz wird es sehr schwer werden, „Onkalo“ aus der im Entstehen begriffenen Liste der Top-Alben 2013 zu vertreiben. In allen drei Formaten, das Vinyl doppelt und sowohl in schwarz als auch grün.
A-pro-pos politisch: „Hinkley Point Ballon Release“, der Titel des Albumopeners, bezieht sich höchstwahrscheinlich auf eine Luftballonaktion vor dem englischen Hinkley Park Atomkraftwerk; nicht um irgendetwas zu feiern, sondern eine Demonstration, um ganz anschaulich zu zeigen, wie schnell und bis wohin sich radioaktive Teilchen im Fall eines Unfalls in Hinkley Park verteilen würden. Einfach und eindrücklich.
A-pro-pos politisch (2): …siehe Innencover…
(N)
Format: CD/2LP |
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