Seit ihrer Gründung 1985 findet alle zwei Jahre in Bonn die Videonale statt. Was als Initiative von Studenten begann, hat sich mittlerweile zu einem der wichtigsten Foren für Kunstvideos entwickelt. Zum Auftakt der 14. Auflage der Ausstellung präsentierte das Kunstmuseum Bonn am 17. Februar 2013 eine Kenneth Anger gewidmete Retrospektive. Die mittlerweile 86 Jahre alte Ikone des Undergroundkinos war persönlich anwesend und stellte sich nach der Filmvorführung in einem Künstlergespräch den Fragen des Publikums.
Eröffnet wurde die Werkschau mit Fireworks aus dem Jahr 1947, einer homoerotischen, im Matrosenmilieu angesiedelten Traumsequenz, deren Ästhetik bis hin zu Rainer Werner Fassbinders letztem Spielfilm Querelle weiterwirkte. Es folgten kleinere Filme wie die bezaubernd schönen Fantasien Eaux D’Artifice und Rabbit Moon, die Hot-Rod-Hymne Kustom Kar Kommandos und die Rockerballade Scorpio Rising mit ihrer virtuosen Mischung aus Eros und Tod, Motorradkult und Rock‘ n Roll. Herzstücke der Aufführung waren aber Angers wohl wichtigste Filme Invocation of My Demon Brother sowie Lucifer Rising, sein bilderstarkes Meisterwerk mit der kongenialen Musik von Bobby Beausoleil. Beiden Filmen gemein ist die tiefe Verwurzelung in der Symbolsprache des Okkultismus und dem Denken von Aleister Crowley, wodurch Anger dem Begriff Kinomagie eine völlig neue Dimension verliehen hat.
Seine Deutschlandpremiere erlebte Ich will aus dem Jahr 2008, Angers aus Nazi-Propagandafilmen wie Hitlerjunge Quex und Triumph des Willens sowie weiterem Dokumentarmaterial montierte Warnung vor den Verführungen totalitärer Massenbewegungen. Gewidmet ist der mit der letzten Symphonie von Anton Bruckner unterlegte Streifen Angers Cousin Karl-Heinz Anger, der selbst in der Hitlerjugend war und noch kurz vor Kriegsende fiel. In dem vom Filmwissenschaftler Daniel Kothenschulte moderierten Gespräch erzählte Anger von seiner Kindheit in Beverly Hills, den Anfängen seiner Laufbahn, seiner Zeit in Paris und dem Verbleib einiger als verschollen geltender Frühwerke. Auch berichtete er von den Schwierigkeiten, seine Filme öffentlich zeigen zu können: wenn überhaupt, liefen sie zumeist in den Nachtprogrammen einiger weniger Kinos.
Trotz Finanzierungsproblemen und fortgeschrittenen Alters macht Anger weiterhin Filme, und so bekam das Bonner Publikum als Zugabe noch seine bisher letzten Werke zu sehen: Airship 1, 2 & 3 zelebrieren Angers Liebe zu Zeppelinen, die er einmal als „pures Art Decó“ bezeichnet hat. Airship 3 endet mit dem Absturz des Luftschiffs Hindenburg 1937 in Lakehurst: ein gefallener Engel der Technik, ein in Flammen aufgegangner Traum. Die Hindenburg-Katastrophe bedeutete nicht nur das Ende der Luftschiffära, sie symbolisiert auch das Ende einer Epoche mit einem besonderen Sinn für Stil und Eleganz. In diesen Jahren endete auch das goldene Zeitalter Hollywoods, dem Anger mit seiner zweibändigen Skandalchronik Hollywood Babylon ein Denkmal gesetzt hat. Ihre Fortsetzung fand die Veranstaltung am Abend darauf im Düsseldorfer Venus & Apoll, dem temporären Projektort der Julia Stoschek Foundation. Bei der am nicht gerade glamourösen Worringer Platz gelegenen Location handelt es sich um einen ehemaligen Kosmetiksalon, der in seinem Urzustand belassen wurde und so den besonderen Charme des Provisorischen ausstrahlt. Das Programm des Abends umfasste Puce Moment, eine Liebeserklärung an alternde Hollywooddiven, Inauguration of The Pleasure Dome, Missoni, ein Clip für das gleichnamige Modelabel sowie The Man They Want To Hang, die Dokumentation einer Ausstellung von Gemälden Aleister Crowleys.
Im anschließenden Gespräch mit Daniel Kothenschulte und Philipp Fürnkäs präsentierte Anger sich geistreich und bestens gelaunt. Mit seiner Schlagfertigkeit ließ er die beiden Moderatoren wiederholt ins Leere laufen. Vergnüglich erzählte Anger von seiner Freundschaft zur Modemacherdynastie Missoni, dem Tod seines langjährigen Mäzens J. Paul Getty und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für seine Arbeit, seiner Tätigkeit an der Cinémathéque Francaise zu Beginn der 1950er Jahre und dem bereits abgeschlossenen dritten Band von Hollywood Babylon, dessen Veröffentlichung nur dadurch verhindert wird, dass einige der dort erwähnten Filmstars noch leben und Anger verklagen könnten. Auch äußerte er sich über den Fall Oscar Pistorius und Liebesbeziehungen, die im Wahnsinn enden. Ausführlich beantwortete Anger Fragen zu seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Aleister Crowley und wie sich dessen magisches System in seinem eigenen Werk niedergeschlagen hat.
Zum Abschluss der Veranstaltung in Düsseldorf versprach Anger, weiterhin Filme zu machen, um sie vor allem seinem deutschen Publikum zeigen zu können. Bleibt zu hoffen, dass dem Kultregisseur seine Schaffenskraft noch etliche Jahre erhalten bleibt, damit er sein Versprechen auch wahr machen kann.
Foto: Jonas Ploeger
(M. Boss)
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