HERZZ Interview

HERZZ ODER DER TANZ AM UNSAGBAREN PUNKT

HERZZ aus Dresden ist zur Zeit die Band der Stunde in der „Fürsten-Stadt“ und ihre Konzerte gleichen intensiven Prozessionen, bei denen die jeweilige Location mit einbezogen wird. Ob nun Abrißhaus, Fabrikkeller, Konzertsaal, Weinhandlung, Kunstgalerie oder Szenekneipe – immer ist das Set anders und trotzdem großartig. Der ehemalige Solist und Schauspieler Tobias Hallbauer stand mir stellvertretend für die Band anläßlich der Veröffentlichung ihrer Debüt-EP zum Interview zur Verfügung und gibt uns im folgenden Einblick in den Band-Kosmos von HERZZ.

? Das Projekt HERZZ fungierte ja in der Vergangenheit als Solo-Plattform für Tobias Hallbauer – wie und wann kam die Entscheidung zur richtigen Band, die HERZZ ja inzwischen ist?

Mitte 2007 kam Schitte (Jörg Schittkowski), der bis dahin „nur“ mein Booker war, mit der Nachricht an, daß eventuell bei der „documenta“ „was gehen könnte“. Es ging also um ein Konzert im Rahmen der „documenta“ und falls es klappen würde, er totalen Bock hätte, mal wieder aktiv mitzuspielen und nicht nur zu organisieren. Mir kam die Idee sehr gelegen, da ich zu diesem Zeitpunkt drauf und dran war, überhaupt keine Konzerte mehr zu spielen. Ich hatte vor Konzerten zunehmend die Erfahrung gemacht, daß die Anspannung vor den Auftritten, bei denen ich ja ganz allein im Fokus stand, mehr und mehr belastend wurde und die Freude auf ein Konzert fast gänzlich übertünchten. Da war der Gedanke an eine Band für mich zum einen bestimmt von der Hoffnung, sich wieder „freizuspielen“ in der Interaktion und außerdem fand ich es spannend zu schauen, was mit dem ziemlich umfangreichen Material, das sich in den Jahren angesammelt hatte und komplett für Loop-Gitarre und Gesang arrangiert war passiert, wenn man es mit einer richtigen Band spielt. Hat alles bestens geklappt und ging auch sofort ordentlich los, denn Schitte engagierte Stoffel, seinen ehemaligen AUTOMATIC NOIR-Drummer, der gerade aus Hamburg nach Dresden zurückgekehrt war. Wir haben im Oktober 2007 als Trio angefangen zu proben, spielten im Dezember das erste Konzert und im März holten wir dann mit Stefan (alias Mr. Estrade) einen guten Freund von mir als vierten Mann ins „HERZZ-Boot“.

? Eine Hauptgrundlage des aktuellen HERZZ-Programms sind eigenwillige Coverversionen der großartigen NICO – was liegt jener gelungenen Hommage zu Grunde bzw. wie kam es zu diesem Einfluß?

Ich hatte schon 2005 ein NICO-Set erarbeitet und mehrfach gespielt. Die Basis war also da und die Bandkollegen sind ebenfalls von NICO Angetanene. Mitte der Neunziger habe ich NICO zusammen mit VELVET UNDERGROUND für mich entdeckt, was ein enormer Einschnitt in meine bis damals bestehende musikalische Prägung war. Die VELVETS waren mit ihrer Archaik, den Drones und Feedbacks vor allem der klangliche Einschnitt und die weiterführende Beschäftigung mit NICO als Solistin brachte, wenn man erstmal die Riegel der Türen zu ihrer Musik geöffnet hat, einen ungeheuren Raum zum Klingen, der wie eine Leinwand für Poesie und von abgrundtiefer Schönheit ist. In einem damaligen PR-Text habe ich es ungefähr so beschrieben: „…die Dichter tanzen in einem endlosen schwarzen Raum“. Und wenn wir heute als Band beim Konzert den „unsagbaren Punkt“ treffen, dann tanzen sie heftiger, als ich es je vermutet hätte.

? Neben NICO scheint auch David Bowie und da vor allem seine Hymne „Helden“ ein großer Einfluß auf HERZZ gewesen zu sein?

Bowie ist für mich einer der wenigen „ganz Berühmten“, der immer wirklicher Künstler und also auch bereit zum Scheitern geblieben ist. Dann „Heroes“ zu covern hatte ganz persönliche Gründe – abgesehen von der unglaublichen Direktheit und puren Rock´n´Roll-Kraft…

? Auf Eurer Debüt-EP befinden sich neben eigenen Songs und dem NICO-Hit „You Forget The Answer“ noch Cover von VELVET UNDERGROUND und JOY DIVISION – seid Ihr hoffnungslose Nostalgiker?

Nein. Wir sind nur auf der Suche nach dem Zeitlosen.

? Ist Hallhuber Schallplatten Euer eigenes Label?

Ja und schön ist die Entstehungsgeschichte des Namens: In einem Zeitungseinleger mit dem Programm des Staatsschauspiels in Dresden wurde ein Solokonzert meinerseits unter dem Namen Tobias Herzz Hallhuber angekündigt. Meine Bandkollegen fanden, daß dies ein Supername für ein Label wäre und ich fand das auch.

? HERZZ war neben den Support für RUMMELSNUFF auch schon Vorband für PHILIPP BOA & THE VOODOO CLUB und BOHREN AND DER CLUB OF GORE – wie wurdet Ihr da vom Publikum und den „großen“ Künstlern aufgenommen?

Der Support für RUMMELSNUFF war richtig fett, denn es war das erste Konzert in der Viererbesetzung und die Feuertaufe für Stefan – also unheimlich energetisch, wie immer, wenn man eine „Unbekannte“ auf dem Schirm hat. Bei Boa im Eastclub waren wir noch zu dritt und haben ein relativ ruhiges Set gespielt, was das Publikum trotz oder gerade wegen des Kontrastes zu Boa erstaunlich honoriert hat. Außerdem waren bei beiden Konzerten Top-Soundleute am Start und den Genuß hat man ja auch nicht alle Tage. Bei BOHREN allerdings hatte ich mit einem kaputten Monitor zu kämpfen, habe mich aber wohl wacker geschlagen (das war noch zu Solozeiten). Zumindest bekam ich danach jede Menge positive E-Mails von Leuten, die da waren, obwohl mit so einem technischen Problem das Spielen natürlich anstrengend ist. Mit den „Headlinern“ kommt man nicht in so intensiven Kontakt, denn wenn man Backstage ist, sind die anderen ja gerade auf der Bühne oder beim Soundcheck und umgekehrt. Mit RUMMELSNUFF ist das natürlich anders, da er ein Freund von Schitte schon seit Kindheitstagen ist. Wir haben bei einer Party im vergangenen Juli auch ein Konzert zusammen gespielt – also: wir als Begleitband für Roger…

? Am 09.11.2008 gabt Ihr ein denkwürdiges wie intimes Konzert im Cafe Neustadt in Dresden, welches das Publikum zu wahrer Begeisterung hinriß – wie habt Ihr den Abend in Erinnerung?

An diesem Abend waren wir als Band am oben erwähntem „unbekannten Punkt“. Da war nix „gespielt“, sondern alles in „Echtzeit“ und das klappt ja nun mal nicht immer. Aber wenn es dann so ist, nimmt man alle mit. (Das weiß ja jeder, der ernsthaft Musik oder (wie auch immer) Kunst betreibt… dafür macht man es ja). „Die Kunst mag ein Spiel sein, aber sie ist ein ernstes Spiel“ sagt Caspar David Friedrich und bei dem Spiel kann jeder nur gewinnen, so er sich drauf einläßt.

? Wie war Euer persönlicher Eindruck dagegen auf der Record-Release-Party zu der EP? Obwohl mir persönlich der Auftritt ganz gut gefallen hat, habt Ihr meiner Meinung nach dort leider nicht ganz den bereits angesprochenen Punkt getroffen, obwohl ja fast direkter Kontakt mit dem Publikum bestand.

Nun ja, ich persönlich habe mich sehr gut gefühlt, aber es mag sein, daß wir zum einen etwas aufgeregter waren als bei den vorherigen Konzerten. Zum anderen hatten wir ein Set mit neuen Songs und neuen Versionen von Songs aufgestellt. Wir sind also trotz des „Haupt-Events“ CD-Release nicht auf Nummer sicher gegangen und haben ein bereits eingespieltes Set wiederholt, sondern mit neuen Sachen experimentiert. Vielleicht ist da immer die Gefahr dabei, an irgendeiner Stelle zu nervös zu werden, aber so bleibt für uns auch jedes neue Konzert eine neue Herausforderung. In dem Zusammenhang wäre selbst auch mal ein totales „Scheitern“ ganz spannend…

? An diesem Abend war auch der neue Song „Regen“ zu hören, welcher recht kräftig vorgetragen wurde und mich ein wenig an Brecht/Weil erinnerte – ist diese Interpretation gerechtfertigt?

Absolut! Es freut mich auch ungemein, daß der Song so ankommt. Er entstand schon vor zehn Jahren und ich hatte damals eine kurze, aber sehr intensive Zeit in Berlin. Der Input durch die Stadt war enorm und mit meiner damaligen persönlichen Situation geradezu korreliert. Im Text finden sich Bezüge zu „Der Himmel über Berlin“, zu Heiner Müller und in dem Fall besonders zu seinem Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof. Des weiteren zu Brechts „Ballade von den Abenteurern“ und auch zu Arthur Rimbaud, aber der war ja auch für Brecht besonders wichtig.

? Ebenfalls neu für mich an diesem Abend waren die kleinen Elektronik-Spielereien und die Sample-Einspielungen, welche ganz im Gegensatz zu den nun geplanten Akustik-Auftritten bzw. Aufnahmen stehen – erfinden sich HERZZ mit jedem Tag neu?

Nicht mit jedem Tag, aber wir stimmen unser Set schon nach den jeweiligen Gegebenheiten ab, beziehungsweise suchen uns Auftrittsmöglichkeiten, bei denen wir neue Stücke und Ansätze ausprobieren können. Fast jeder von uns hat einen anderen musikalischen Background – da gibt es viele Ideen und wir sind durch die Bank weg offen für die Ideen der anderen. Wir haben uns so ein ziemlich umfangreiches und sehr unterschiedliches Repertoire zugelegt, aus dem wir schöpfen können. Und wir haben ziemlich viel Freude daran, das Material in allen möglichen Formen zu spielen, zu kombinieren oder auch einfach mal alles ganz anders zu machen.

? Was darf man von dem geplanten Akustik-Auftritt im Winter denn nun genau für ein Programm erwarten?

Nix genaues weiß man nicht… Vielleicht Country? Oder Blues? Jedenfalls jede Menge HERZZ.

? Was sind Eure weiteren Pläne mit HERZZ?

Die Langspielplatte nur mit eigenem Material und viele weitere Tänze am „unsagbaren Punkt“.

? Ich danke HERZZ für dieses Interview und wünsche noch möglichst viele Tänze am unsagbaren Punkt, denen ich dann hoffentlich auch beiwohnen kann.

(M.Fiebag)


 

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