SCOTT WALKER – Bish Bosch (CD)

Was soll man zu dem 1943 geborenen MAGUS NOEL SCOTT ENGEL – Künstlername SCOTT WALKER – noch groß erzählen? Eventuell, dass er die Baritonstimme der großen und ersten Boygroup der  Musikgeschichte, den WALKER BROTHERS zwischen 1964 und 1967 war, natürlich auch nach deren Wiedervereinigung zwischen 1972 und 1975. Und dass er Komponist und Produzent ist und in den 60er Jahren für haufenweise Ohnmachtsanfälle bei den weiblichen WALKER BROTHER Fans gesorgt hat. Sein musikalisches Vorbild, nach dem endgültigen Aus der WALKER BROTHERS, wurde und war JACQUES BREL, dessen Auffassung und Umsetzung von introvertierter und existenzieller Kunst SCOTT WALKER schwer beeindruckt hat, daher klangen die ersten Soloplatten von WALKER noch Orchestral Pompös und vor allem eingängig.

Was aber in der Solokarriere bereits 1984 mit „Climate Of Hunter“ seinen Anfang nahm, nämlich die konsequente Verweigerung des Pop, nahm mit „Tilt“ in 1995 und „The Drift“ in 2006 seine Weiterentwicklung und wird aktuell mit „Bish Bosch“ – übrigens benannt nach einem Gemälde des Künstlers  HIERONYMUS BOSCH – in seiner sehr individuellen Art vollendet, ein mehr als rätselhaftes Album. Um es einmal mit dem größten Hit der WALKER BROTHERS im abgewandelten Sinne zu dokumentieren „The Sun in this Songs from SCOTT WALKER are not gonna shine anymore“ -hier ist nämlich genau das Gegenteil der Fall. SCOTT präsentiert uns auf der neuen Platte, erschienen beim 4AD Label, solch galante Themen wie Introvertiertheit, Pest, Dunkelheit, Tristesse, Paranoia, Tod, Leere, Depressivität – Inhalte, die eher zu anderen Veröffentlichungen des 4AD Labels passen würden, wie BREEDERS, PIANO MAGIC, DEAD CAN DANCE, LUSH, RED HOUSE PAINTERS, COCTEAU TWINS, PALE SAINTS oder früheren CLAN OF XYMOX und MOJAVE 3!

Doch wenden wir uns dem neuen Epos „Bish Bosch“ zu, denn wie bisher schon zart angedeutet, Harmonien oder gar Melodien sucht man hier vergebens.Die Texte sind sperrig und fast gar nicht zu interpretieren und erst wenn man die skurrilen und reichlich abstrakten Sounds von WALKER als eine Erweiterung der Wörter begreift, entwickeln sich so was wie Bilder und Storys. Aus dem einstigen Superstar SCOTT WALKER ist über die Jahre ein kauziger, medienscheuer Klangvisionär oder auch Komponist des Unbewussten geworden, der alle paar Jahre – in den letzten Jahren wieder regelmäßiger – seinem Publikum eine musikalisch äußerst schwer zu verdauliche Veröffentlichung präsentiert, experimentelle Musik als zeitgenössische Kunst sozusagen. Allein der 22minütige Höllentrack „SDSS1416+13B“ – der sich einem kaum erschließen kann, weil immer wieder etwas Neues passiert oder wenn hier und da sein flehender Gesang einsetzt wie bei „Dimple“ – lassen einen fragend und rätselnd zurück. Oder bei „Epizootics“, wo dronige Klangfusionen aus Bläser und Steelgitarren erklingen. Am Ende der Scheibe steht ein Weihnachtslied, das thematisch am 25.12.1989 spielt, Geschichtsinteressierte wissen dieses Datum einzuordnen, als den Tag der das Ende des rumänischen Diktators Ceaușescu  und seiner Frau bedeutete.

Diese neue Veröffentlichung des ambitionierten 69jährigen WALKER wimmelt nur so von außergewöhnlichen Tracks, die sich mit detonierend hämmernden Beats, verzerrten Industrial Gitarren und orchestralen Fanfaren Klängen die Klinke in die Hand geben, allein die Stimmlage des Meisters ist nach wie vor fantastisch. Fast aber ist es so, als wenn es sich um Musik handelt, die noch nie in irgendeiner Art benannt wurde z. B. wie Klänge zu einem noch nicht existierenden Weltuntergangsfilm. Das erstaunliche ist aber immer wieder, das das Konzept aufgehen kann, wenn man sich als geneigter Hörer darauf einlassen kann und will. Diese Veröffentlichung wird beim Publikum sicherlich ihre Zeit brauchen, könnte dann aber eine gewaltige Offenbarung entfachen und ihren sicherlich berechtigten Platz in der Musikhistorie einnehmen.

(S.Ericksen)

Format: CD
Vertrieb: 4AD/INDIGO
 

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