ALAN DUNN – Interview

Ein Doppelalbum über die Zahl 4? Dass das nicht nur etwas für Graf Zahl und Mathelehrer ist, war mir eigentlich schon klar, da auch ANTLERS MULM darauf zu hören waren. Beim Hören der CDs und nach erster sporadischer Beschäftigung mit den Webseiten von deren Macher, Alan Dunn, wurde mir klar, dass es hier nicht nur vieles zu hören und lesen gibt, sondern dass sich manche Fragen geradezu aufdrängen. Das Interview, das gewiss noch länger hätte gehen könne, findet ihr hier.

? Wie stellst du denn die Lieder auf deinen Compilations zusammen?

Das ist in der Tat eine wichtige Frage. Ich fange immer mit ein paar „Schlüsselstücken“  an, bei denen ich das Gefühl habe, sie könnten die Grundpfeiler der Zusammenstellung sein. Bei „Adventures in numb4rland” hatte ich eine Liste von etwa zehn, von denen ich manche nicht nehmen konnte, da es zu lange gedauert hätte, sich die Rechte zu sichern (Steve Reichs „Drumming“), mir diese verweigert wurden (The Ramones/Warners oder Roman Opalka) oder sie schlicht zu teuer waren (Kraftwerk/EMI). Außerdem natürlich Internet-Recherche, altmodische Gänge in Büchereien und das Befragen von Freunden und Kollegen. Mit jeder „collection“ stelle ich mir selbst die Herausforderung, als Kurator außergewöhnliche Methoden zu verwenden. Manchmal frage ich öffentlich nach mehr oder weniger ungefilterten Beitragen oder bitte die Person, die die CD mastert, in allerletzter Minute, noch einen Titel zu finden. Auf einer CD war ein Stück, das mir geschickt wurde und das ich miteinbezog, ohne es jemals angehört zu haben. Zudem habe ich auch von jeder CD eine visuelle Vorstellung. Für die „grey“-CD war es ein Gemälde von Turner und eine Farbdose, für „Background“ ein Bild der NASA und der Film „Moon“. Bezüglich „numb4rland“ hatte ich einige visuelle Referenzen, die mit dem Film „Pi“ zu tun hatten und etliche populäre Mathematikbücher, die sich mit Maßstäben beschäftigen. Diese Ideen und Maßstäbe, findet man auch in der Verpackung wieder, denn eine kleine 4 ist plötzlich drinnen ganz groß und dann wieder klein. Sobald die Musik spielt, sind manche Titel 4 Sekunden lang, andere 9 Minuten. Wenn ich mir dann jeden Titel anhöre, geht es mir manchmal so, dass ich das Gefühl habe, der Sammlung insgesamt fehlt noch etwas, z.B. ein schnellerer Track, ein Punk-Song, ein Instrumental, noch eine weibliche Stimme oder ein sehr lo-fi produziertes Stück. Zu jeder „collection“ gibt es auch eine Story und als ich immer mehr über Zahlen las, kam der Gedanke an Unendlichkeit und dem Gegeneinander von menschlichen und natürlichen Systemen in mir auf. Gegen Ende von CD1 ist „Vier Herren“ und ein Text, in dem Populärmusik angesichts vierer Herren („The Beatles“?) beurteilt wird, und gegen Ende von CD2 gibt es das Stück „Eight men, four women“, welches Gedanken an eine Jury bei Gericht enthält. Dieser Song handelt davon, blind und schuldig zu sein und CD2 möchte etwas beenden, nicht mit „Pi“ oder unendlich, sondern mit einem menschlichen Ende. Ich wollte mit „25 minutes to go“ aufhören und dann den starken elektronischen Impulsen von ALVA NOTO. Ich hatte diese Vorstellung von einem Menschen, der von Zahlen in den Wahnsinn getrieben wird und der sich umbringen will. In letzter Minute machte ich „25 minutes“ zum Endtrack und nahm ALVA NOTO als vorletzten.

? Du sagst, du kommst aus einem Umfeld der visuellen Künste. Wieso hast du dich dann für das Akustische/ Musikalische entschieden und wie beeinflusst dieser Hintergrund deine musikalische Arbeit?

Bei meiner Ausbildung an der „Glasgow School of Art“ wurden wir immer dazu ermuntert, Arbeiten über die Populärkultur von Musik, Fußball oder Wohnblocks zu machen. Sogar in der „Secondary School“ machte ich schon „fan art“ – nachgemachte LP-Hüllen – und ich denke, man entwickelt sich langsam von einem, der seine Idole kopiert, zu einem, der versucht, so ähnlich wie diese zu arbeiten. Mein erstes Kunstwerk an der Kunsthochschule war eine Kollage zu Bill Drummond und die JAMMs und wir waren in den Studios von Mix-Tapes umgeben. Mein Lektor, David Harding, hat einmal einen Kommilitonen mit den Worten zitiert, was die „Glasgow School of Art“ ihn am intensivsten gelehrt hätte, wäre das Singen. Was sie mir beigebracht hat, war leise zu sein, zu zuhören und zu beobachten. Zu dieser Zeit studierten dort auch Mitglieder von FINI TRIBE, THE SOUP DRAGONS und THE MACKENZIES und auch wenn ich nicht musikalisch war, absorbierte ich deren Interessen und Gespräche. Das Populäre hat mich immer angezogen und in Glasgow gab es eine Menge an 1960s Garage Punk Psychedelic Bands, neben den ganz schwer zugänglichen. Ich kümmerte mich um obskure Mix-Tapes, kaufte einige frühe EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN und war ein geradezu zwanghafter JOHN PEEL-Hörer. Der hat solche aufregenden musikalischen Abfolgen gespielt, bei denen Hardcorepunk, eine alte 78er Platte, Roy Orbison, Reggae und dann Industrial nacheinander gespielt wurden, zwischenrein noch eine neue Komposition aus einer Session. Meine erste richtige „Audio-Arbeit“ war 1997 eine 7“ für die Bluecoat Gallery, bei denen ich Schnipsel aus einigen Live Peformances von Jeremy Dellers „Acid Brass“, einem Forsyth & Pollard Projekt, und einen Remix von Philip Jeck zusammeneditierte. In diesem Sinn war es sehr wichtig, nach Liverpool zu ziehen, denn nun war ich fähig Soundkünstler zu treffen, die auch Künstler waren – und umgekehrt. Diese Stadt trennt kaum zwischen visuellen/ akustischen Künsten und Kulturen.

? Deine Musik verteilst du ja kostenlos, da kann es nicht darum gehen, Geld zu machen. Was möchtest du denn erreichen? Möchtest du unterhalten, den Horizont deiner Hörer erweitern oder gibt es da gar einen wissenschaftlichen Ansatz?

Seit ungefähr 20 Jahren arbeite ich daran und damit, komplexere Methoden der Kommunikation auf ein persönlicheres Niveau zu reduzieren. Zunächst dadurch, Kunstwerke auf Plakatwände zu bringen und dann, einen kostenlosen Internet-TV-Kanal zu betreiben, zusammen mit ein paar Senioren. Mich interessieren günstige – low budget – Erfahrungen, bei denen die Produktion etwas rau ist, der Inhalt aber energiereich und enthusiastisch. In diesem Sinn beziehe ich mich auf eine Ästhetik des Punk. Ich war 1977 zu jung, um Punk völlig zu verstehen, aber während ich älter wurde, habe ich den Wert eines gewissen DIY-Ansatzes immer mehr zu schätzen gelernt, der sich von Regeln, Kompromissen und kommerziellen Erwartungen frei fühlen kann. Was die CDs angeht, dadurch, dass ich sie als kostenlose Tonträger entwickle, komme ich auch an mehr Inhalte heran, da es ja nichtkommerzielle Projekte sind. Ich habe kein Interesse daran, ein Plattenlabel oder einen Mailordershop zu betreiben. Ich habe immer viel an Fanzines geschrieben oder an Leute, die ihre Kassetten verschickten, wenn man ihnen nur das Porto bezahlte, und hatte da immer das Gefühl, näher am Urheber zu sein. Denn die Fanzines und Tapes kamen direkt vom Künstler, ohne dass da ein Dritter dazwischen gewesen wäre. Ich denke, die Tatsache, dass fast alles heutzutage kostenlos online erhältlich ist, legt den Gedanken nahe, dass ich quasi als Kurator das ganze Material „umleite“, indem ich es neben Sounds aus anderen Welten und Zeiten platziere. Es begann alles sehr persönlich, indem ich mein Interesse an Klängen wiederbeleben wollte, was nachgelassen hatte, als immer mehr davon erhältlich wurden. Ich brauchte neue Landkarten, die mir – und hoffentlich auch anderen – helfen, durch die neuen Ozeane an Klängen zu navigieren, während gleichzeitig neue Kompositionen und ungehörte/ unerhörte Diamanten in der Landschaft erscheinen. Davon abgesehen, bin ich besonders an Musikstücken interessiert, die mir sehr avantgardistisch vorkommen, da sie ihre Wurzeln in der Welt der Kunst haben, und die es bis in die Wohnzimmer der Leute geschafft haben. Ich würde „Revolution 9“ von den BEATLES dazu zählen, ebenso LAURIE ANDERSONs „O Superman“ oder sogar die B-Seite von „Golden Brown“ von den STRANGLERS, was sich so gut verkaufte, eine abstrakte Collage namens „Love 30“. Ich habe sicher manchmal auch diese „Trojanisches Pferd“-Einstellung. Indem ich den „Soundtrack for a Mersey Tunnel” direkt an den Kartenhäuschen des Tunnels verteilte, machte ich es möglich, dass eines Tages der Fußballverein von Liverpool da durchfährt und ein Exemplar davon erhält und am Ende hören sich dann einige Spieler den Remix von PAVEL BÜCHLER an, für den er die Lücken auf JOHN CAGEs LPs verwendete.

? Wie ist das Feedback auf deine Veröffentlichungen?

Bei keinem meiner Projekte kommt es mir auf unmittelbares Feedback an. Ich ziehe es vor, mindestens vier oder fünf Jahre auf die echte Wirkung zu warten. Ich glaube, dass wir alle unglaublich beschäftigte Leben führen und auch wenn die unmittelbare Reaktion wertvoll ist, bevorzuge ich Dinge, die in unserer Erinnerung bleiben.

? Was für Musik hörst du privat?

In meinem Studio ist ein Stapel Schallplatten, die ich mir in letzter Zeit angehört habe, ein paar davon immer wieder, wie z.B. KILLING JOKEs „Fire Dances“ und SUEDEs „Animal Nitrate“. Momentan bin ich an einem Box-Set namens  „Children of Nuggets” mit all diesen fantastischen Paisley Underground Bands. „Gravity Talks“ von QUEEN OF RED ist ein aktueller Favorit. Auf meinem iPod sind die am meisten gespielten Stücke das „Oh! You pretty things“-Cover von Au Revoir Simone, Cineramas “Quick, before it melt”, ein paar Ennio Morricone Spaghetti-Western und auf dem Laptop einige Videos der DEAD KENNEDYS, „Gimmer Shelter“ und der Napa State Mental Hospital Gig der Cramps. Einige andere Entdeckungen der letzten Zeit sind „The Labyrinth Scored for the Purrs of 11 Cats” von Terry Fox und ich bin endlich mal dazu zu gekommen, „Two Virgins“ zu hören. Außerdem habe ich noch einen Ordner mit „spoken word“ zusammengestellt (Laikas „Bad times“, William Burroughs „Words of advice for young people“ und Jeff Youngs „Ouija“  für meine „Sounds of ideas forming“-Ausstellung), wobei ich bei Letzteren irgendwie denke, sie könnten zu neuen Projekten führen, ohne Genaueres darüber zu wissen.

? Wie gefällt dir Deutschland?

Das erste Mal, dass ich überhaupt im Ausland war, war ein Schüleraustausch mit Nürnberg und da meine halbe Familie aus Deutschland kommt, habe ich viele Erinnerungen an Deutschland. Einige Highlights sind, mit tenantspin in Wiesbaden gewesen zu sein wegen „Forty years of Fluxus“, gefolgt von einer Familiensache im Wald der Gebrüder Grimm und vorletztes Weihnachten in Korschenbroich, mit wirklich extrem viel Schnee!

? Erzähl uns bitte, was es mit deiner aktuellen Ausstellung „The sounds of ideas forming“ auf sich hat?

„The sounds of ideas forming” ist eine aktuelle Ausstellung, in der ich die sieben CDs, die seit 2008 herausgegeben habe, zusammengestellt habe. Ich präsentierte alle Titel an Hörstationen, zusammen mit Objekten, die die Musik inspiriert und gesteuert haben, z.B. das Fragment von Apollo 8 und Bill Drummonds Dose mit grauer Farbe. Ich habe drei große Banner mit Notizen zu „Sound Art“ zusammengebastelt, die hoffentlich Sinn ergeben werden, wenn ich innerhalb der nächsten zwei Jahre an meinem PhD arbeite. Es war mein Ziel, die Ausstellung in Rot, Weiß und Schwarz zu kodieren, teilweise als Designpalette, die auch von vielen Künstlern benutzt worden ist und die Reinheit, Feuer, Blut, Tod und Jungfräulichkeit repräsentiert. Für die Eröffnung habe ich den Schriftsteller Jeff Yound und die Band MOONGOOSE eingeladen, ein fünfzehnminütiges Klangereignis zu kreieren, um es vor den Bannern zu spielen, als Antwort auf einige der Anekdoten und Beobachtungen. Es interessiert mich, wie Klangkunst manchmal darum kämpft, sich selbst innerhalb des Kontexts einer Gallery zu repräsentieren, wenn es nicht um eine Installation geht, mit der man sich umgibt, sondern eher in Richtung einer musealen Ausstellung mit Live-Elementen.

? Warum hast du die Zahl 4 ausgewählt?

Einer meiner Lieblingskünstler ist Bill Drummond, der das Buch “45“ schrieb, als er 56 wurde, und da ich 2012 44 wurde, wollte ich etwas mit der Zahl 4 kreieren, als Hommage an „45“. Ich wusste auch, dass die „4“ ein ergiebiges Thema ist, ähnlich wie „grau“, „Hintergrund“ oder „Revolution“, ein einfaches Konzept, das sich in viele verschiedene Richtungen entwickeln ließe, wie etwa die vier Jahreszeiten, die „fab four“, der Vierte Weltkrieg, 4am, 4pm, 4×4, GANG OF FOUR, „four tops“, „four eyes“ usw.. All diese Themen versuchten binäre Angelegenheiten zu finden, die vielleicht allem künstlerischen Streben zugrunde liegen. In diesem Sinn hat die „4“ etwas mit Balance, Ordnung und Stabilität zu tun, dem Quadrat der Leinwand, dem Bildschirm, dem Gebäude und dem Sockel.

? Warum ist das Lied „Numbers” von THESE NEW PURITANS nicht dabei? Wie findest du dieses Lied?

Stattdessen wollte ich das Lied „£4“ von THESE NEW PURITANS dabeihaben und habe Domino um Erlaubnis gefragt. Während ich auf Antwort wartete, kreierte einer meiner Studenten ein neues Werk, das den „£4“ so beschleunigte, dass er nur noch 44 Sekunden dauerte. „Numbers“ war auf der Liste der Lieder, die ich wollte, ebenso wie „Numbers“ von KRAFTWERK und „Pi“ von KATE BUSH. Auch die Idee, ein Viertel von STEVE REICHs „Drumming“ einzubauen, verfolgte ich, doch mir ging die Zeit aus.

? Kennst du das Come Organisation Label? Ich frage wegen deren kontroverser „Für Ilse Koch“ Compilation, welche auch mit „spoken word“ und verschiedenen Arten von „Musik“ arbeitet.

WHITEHOUSE und NURSE WITH WOUND kannte ich seit deren Anfangstagen und meine CDs wurden stark von der Unterground-Kassetten-Kultur der 80er beeinflusst. Eine der wichtigsten Veröffentlichungen für mich war TOUCHs „Ritual: Magnetic North“ von 1986, eine Collage aus „spoken word“, Punk, Werken von Künstlern und Industrial. Auch die Verwendung des klitzekleinen Wortes „for“ bezüglich „music for“ interessiert mich sehr. Das hat gewiss seine Wurzeln in den Anfangstagen von Hi-Fi Anlagen für Zuhause und „Muzak“ Kulturen (Music for heavenly bodies, Music for easy listening, Mood music for dining) und eine bestimmte Sparte von Konzeptkunst, besonders Fluxus Fluxus (Music piece for Erik Dietman, Music for my son, Variation for food and piano). Jede der CDs, die ich zusammengestellt habe, hat auch eine Präposition im Titel – „for”, „to”, „in”, „of” – was vielleicht nahelegt, dass Musik eine Funktionalität haben kann, mit dem Ziel, ein Zuhause dafür zu finden.

? Danke!

(Michael Flach)

 

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