Wenn dieses Album nicht mal endlich ein wahres musikalisches Großereignis ist, das im Rückblick bestimmt zu den tollsten des Jahres gehören wird! LISA GERRARD und BRENDAN PERRY tun sich nach gefühlten Jahrhunderten erfolgreich beschrittener Solopfade völlig überraschend und entgegen aller Dementi noch einmal zusammen, um DEAD CAN DANCE wiederzuerwecken, das musikalische Projekt, das uns bis zu seinem viel zu frühen Ableben spirituell durch die Neunziger begleitete.
DEAD CAN DANCE zeichneten sich zu ihrer Zeit vor allem durch völlige Gleichgültigkeit gegenüber musikalischen Trends und Konventionen aus; abseits von Pop, Rock und ja, auch abseits von “Gothic“ entwickelten sie konsequent ihren ureigenen musikalischen Ansatz aus Eigenwille, Neurose und Stilzitat. Jede Platte knöpfte sich zunächst eine andere Epoche vor: Ist “Within The Realm of a Dying Sun“ das Mittelalter-Album, greift “Aeon“ eher auf Renaissance-Musik zurück, und als die Historie einmal aufgearbeitet war, wandte das Duo sich afrikanischen und indischen Klängen zu. Und das alles ohne den vereinnahmenden Anspruch der völligen Imitation, sondern mehr als zitierende Verbeugung, die sich in den letztendlich popmusikalischen Kosmos GERRARDs und PERRYs nahtlos einfügte. Für den Hörer, der das nach Belieben Weltmusik, Neoklassik oder New Age nennen durfte, war entscheidend, dass da abseits vom Drei-Minuten-Pop und der stündlich wechselnden heißesten Newcomer-Entdeckung des Musik-Feuilletons zwei Suchende am Werk waren, die sich tatsächlich Mühe gaben, für sich selbst und die Hörer etwas von bleibendem Wert zu schaffen, das mehr kann als die situative Langeweile beim Geschirrspülen zu vertreiben. Das ging auch noch zehn Jahre nach der Trennung des Paares gut, bis die beiden sich schließlich auch in kreativen Belangen trennten.
In der Folge der Auflösung war es vor allem Ms. Gerrard, die mit einer Unzahl von Projekten auf sich aufmerksam machte, und längst ist klar: Die Frau ist ein Genie. Ohne jemals Gesangsunterricht oder Kompositionslehre genossen zu haben, schuf sie durch Introspektion scheinbar aus dem Nichts die fast schon unheimlich tiefgreifenden Klangkompositionen ihrer Solo-Alben “The Mirror Pool“ und “Duality“, die ihr recht schnell Aufträge in Hollywoods Filmmusik-Branche und Zusammenarbeiten mit Größen wie Hans Zimmer und Ennio Morricone einbrachten. Die Stimme Gerrards sucht sowohl in der Popmusik als auch im Klassikbereich (mit dem sie sich durchaus messen kann) ihresgleichen, und spätestens seit den Soundtracks zu “Gladiator“ oder “Whale Rider“ bin ich damit beschäftigt, allen Freunden, die DEAD CAN DANCE immer noch für eine morbide Gothic-Band halten, zu erklären, dass die Komponistin dieser tollen Filmmusik eine Hälfte des besagten Duos war. Und nun wieder ist.
Um Brendan Perry wurde es etwas stiller. Offenbar gab er nach der Bandauflösung Percussion-Workshops; Solo-Alben erschienen, die wirklich sehr schön waren, sich mit der Genialität LISA GERRARDs allerdings nicht messen konnten (aber immerhin ist das ja auch ein völlig unfairer Wettkampf).
Nun also ein neues Gemeinschaftswerk unter dem alten Bandnamen DEAD CAN DANCE. Das ist spannend: Wie fügt sich das ins 21. Jahrhundert? Die Antwort ist natürlich: Genauso wie ins alte. Wer DEAD CAN DANCE damals nicht mochte, weil ihm die Klänge zu versponnen, unzeitgemäß und extravagant vorkamen, wer sich vor vermeintlich unkorrekten Anleihen aus fremden Kulturen fürchtet, der wird auch jetzt nicht viel an “Anastasis“ finden können, denn in dieser Hinsicht hat sich gar nichts geändert. GERRARD und PERRY weigern sich weiterhin, Trendfragen und Ansichten zu zeitgemäßem Stil und Geschmack in ihr Schaffen einfließen zu lassen. Streicher, Percussions und PERRYs wunderbar sonore Stimme mischen sich mit GERRARDs üppigen orchestralen Kompositionen und dem berührenden Gesang, für den sie mittlerweile dem Filmpublikum bekannt ist. DEAD CAN DANCE enttäuschen uns nicht: Alle Tracks können der hohen Erwartung an eine derartige Reunion standhalten. An Tiefe und Eigenständigkeit hat das Duo nichts verloren. Nach wie vor lädt die Musik zum Innehalten und zur Introspektion ein; zu jener Haltung, aus der sie entstanden ist.
Eine Veränderung gibt es auf „Anastasis“ allerdings doch: Wenn die Stücke auf einigen früheren Platten nicht immer ganz zusammenpassen wollten, weil die beiden Bandmitglieder in unterschiedlichen Klanggefilden unterwegs waren, so wirkt das aktuelle Album überraschend homogen. Alle Tracks klingen wie eine konsequente Mischung aus “Within the Realm of a Dying Sun“ und der Weltmusik-Phase – wobei die düsteren Klänge der frühen Jahre hier deutlich überwiegen und letztere primär von den Drums eingebracht wird, die auf allen Stücken die Streichinstrumente begleiten.
DEAD CAN DANCE knüpfen somit nicht nur an alte Werke an, nach der langen Pause ist durchaus auch eine musikalische Weiterentwicklung zu spüren. Das Warten und Hoffen hat sich also gelohnt. Ms. GERRARD, Mr. PERRY, vielen Dank für dieses so unzeitgemäße Album – schön, dass Sie wieder da sind!
(M.Reitzenstein)
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