CD + DVD-Release auf dem ConsoulingSounds Schwesterlabel Lunasylum von Jon Attwood aka Yellow6. Sicher gibt es Ähnlichkeiten oder Überschneidungen, aber im Großen und Ganzen gilt: Yellow6 beschwört seine akustischen Stürme anders als die ebenfalls mit Gitarre, FX + Verstärker als Solokünstler arbeitenden Kolleginnen und Kollegen; viele Stücke seiner jetzigen Phase (Jon Attwood ist als Yellow6 schon seit 1984 unterwegs) basieren im Gegensatz zu deren zumeist sehr stark verfremdeten Klängen auf einem sehr klaren, konkreten Gitarrensound; fast wie völlig ohne Effekte, nackt. Dazu ein Spiel mit langsamen Apreggien und sich immer mehr verdichtenden, melancholischen Melodielinien. Die Yellow6 dann auch gern mit Single-Note-Läufen toppt, die auch ohne – oder mit nur sehr wenig – Verzerrung auskommen und die oft ruhige Stimmung der Stücke fast wie unerwartet ins Bedrohliche kippen lassen. Hört man dann genauer hin, analytischer, ist auch sein Grundsound durchaus durch FX angereichert, der perlend klare Charakter bleibt aber stets ganz vorn im Hörraum, als zentrales Wiedererkennungsmerkmal erhalten.
„00:30“, aufgenommen beim Live-Looping-Festival 2011 in Antwerpen, der Opener von „Sounds And Moving Pictures“, offenbart diesen Technik-Hintergrund der Musik von Yellow6, denn dann auch gleich von Anfang an, wenn neben den ersten Gitarrentönen das Schalten der Looper und Effekte hörbar wird (und sich, ganz nebenbei, auch der Grundsound leicht ändert). „00:30“ verbindet die melancholischen Apreggios des Stücks im weiteren mit einem halb im Hintergrund bleibenden E-Bowartigen Drone, bald ergänzt durch Volume-Swells und einem dieser schon angekündigten Single-Note-Läufe, der als geradezu extremer Kontrast zu den weiterhin das Stück tragenden, ruhigen Apreggien seinen eigenen Sturmlauf beginnt, dessen Atem aber letztlich doch nicht über den des Loopers hinausreichen kann. „Plane Ari“, wie das folgende „Norwest Passage“ (ebenfalls vom Antwerpener Festival), nimmt den gleichen Sound und die gleichen Zutaten, bleibt dabei aber wesentlich harmonischer, fast beruhigender und erst „Norwest Passage“ rückt Yellow6 wieder stärker ins stimmungsmäßige Zwielicht, mit fast beißenden Feedback-Melodien und hitzeflirrenden Drones im Hintergrund.
Auch der zweite Teil der CD, „Comatose With The Season (parts one-six)“ beruht auf live-Aufnahmen (aufgenommen an verschiedenen, nicht weiter benannten Orten) und ganz bewusst wurden die Hintergrundgeräusche des Publikums wie eine Art Fieldrecording in die Musik gemischt und zeigen, wie Publikum manchmal ist, wenn ein besonders hartnäckig neugieriger Mensch mehrfach fragt „Did you play live this one? Is it live?“ Ob man das während eines Konzerts tun sollte? Der Sound von „Comatose With The Season (Part One)“ ist dabei in Teilen so sehr Piano, dass ich hier fast eine Kollaboration (mit wem auch immer) vermute könnte (Credits werden nicht genannt), oder Jon Attwood hat auch Piano gespielt, oder seine Gitarre kann einfach auch noch so klingen… „Comatose With The Season (Part Two)“, eine düstere Americana-Studie, im Sound zwischen fast schon spröde und richtig schön spröde Akustikgitarre womöglich? „Comatose With The Season (Part Three)“ dagegen wieder elektrisch/ delayed und mit Location-Fieldrecordings (seitens des Publikums) als atmosphärischer Grundierung. „Comatose With The Season (Part Four)“ viel stärker in sich ruhend, mit offenen, weit auseinander gespreizten Akkorden und verschiedenen, während der Laufzeit von über 12 Minuten einander folgenden soundlichen Mutationen (Wah-Wah, Reverse), ohne(!!!) den zentralen roten Faden je zu gefährden. „Comatose With The Season (Part Five)“ sehr experimentell, Lo-Fi verhallt; wie von irgendwo hierher geweht, eine Skizze. Der Abschluss, „Comatose With The Season (Part Six)“ als akustische Hölle, wie um der Charakterisierung am Anfang bewusst zu widersprechen und nicht zum ersten Mal während des „Comatose With The Season“-Zyklus der Eindruck, auch andere Instrumente außer einer einzelnen Gitarre könnten beteiligt sein.
Die DVD doppelt zunächst einmal den ersten Part der CD mit den drei Stücken des Antwerpener Live-Looping-Festivals von 2011, beweist damit, dass Jon Attwood einer der wenigen Solospieler aus diesem Genre ist, der tatsächlich im Stehen spielt und bietet den Gear-Addicts intime Einblicke in die verwendeten Gitarren und Effektpedale. Und die Tatsache, dass die E-Bowartigen Sounds zumindest beim Live-Looping Festival ohne einen solchen gespielt wurden. Mit „Drifting“ (shoegazerartig, über 19 Minuten) und „Realisation“ (kurz, dunkel, mit celloartigen Sounds) folgen zwei Studioaufnahmen, begleitet von sehr unterschiedlichen Videoarbeiten und schließlich der in musikalischer Sicht melancholisch abwartende Teaser zu einem Film(-soundtrack) namens „9732“ mit (möglicherweise Upright-) Bass und Drums – perfekte Soundkulisse zu den Bildern (soweit man das bei der Beurteilung eines einfachen Teasers überhaupt sagen darf). Am Ende noch eine Slideshow, die das Thema „Gearview“ natürlich noch einmal intensiv zelebriert. In der bildlichen Umsetzung (und dem begleitenden Sound!) aber so geschmackvoll, dass auch Nicht-Musiker, heißt einfach nur Musikkonsumenten ihren Spaß daran haben werden/ können/ sollten.
Live-Aufnahmen sind meiner Meinung nach selten geeignet, als erste Veröffentlichung eines Musikers, einer Musikerin, einer Band, zum ersten Kennenlernen angehört zu werden. Bei „Sounds And Moving Pictures“ ist das vielleicht einmal anders. Alle, die Yellow6 ohnehin kennen und mögen, besitzen diese CD/ DVD wahrscheinlich ohnehin.
(N)
Format: CD+DVD |
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