Auswege aus dem Festival-Sterben? Das Cold Insanity Festival, Crowd Funding und warum geteiltes Risiko besser für alle ist

Jedes Musikmagazin versucht der verehrten Leserschaft neue interessante Entwicklungen aus den unendlichen Weiten des weltweiten Klangdschungels herauszufiltern und vorzustellen: Genres, Spielarten, nur noch mit heftigem Kopfschütteln zu quittierende Marketingunfälle. Wir leben vom Wert des ewig Neuen. Oft übersieht man in diesem ewigen Strom das Wegsterben alter Formen oder nimmt es schlicht hin.

So zum Beispiel das seit der Mitte des letzten Jahrzehnts grassierende Vergreisen und letztliche Aussterben von Spartenveranstaltungen im ganzen Bundesgebiet. Natürlich spielen auch allzu bekannte Streitigkeiten zwischen Veranstaltern eine Rolle. Dennoch, das Veranstaltungssterben ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn 2013 die neuen GEMA-Tarife greifen, dann wird das in vielen Bereichen mehr aktive Sterbehilfe als handfester Mord sein. Traurig, aber wahr. Allein in unserer Gegend sind in den letzten Jahren unzählige Institutionen über den Jordan gegrooved, gelärmt, gelitten. Auch die Konzertbesuche haben drastisch abgenommen. Live-Auftritte als Specials normaler Clubabende sind Auslaufmodelle. Gleichzeitig feiern Partys mit reichlich Kunstblut, entblößtem Hüftgold und dumpfen 4/4-Bässen Hochkonjunktur. Laut, billig, leicht konsumierbar. In anderen Worten: Profitabel.

Neben offensichtlich rückläufigem Interesse an ehrenamtlichem Engagement für Musikkultur in meiner und der nachfolgenden Generation tritt ein gewichtigeres, nämlich wirtschaftliches Problem: das Risiko. Planungsrisiken gab es schon immer. Nur wo Worst-Case-Szenarien in den letzten Jahren immerhin noch im zweistelligen Besucherzustrom lagen, ist heute nicht mehr abzuschätzen, ob überhaupt jemand kommt. Das ist natürlich auch ein Adressatenproblem und liegt an den weitestgehend konservativen, trotz Facebook und Co. noch in der „guten alten Zeit“ verwurzelten Werbestrategien vieler Veranstalter. Wichtiger ist trotz dessen die Risikoabwägung noch bevor man sich über Werbestrategien überhaupt den Kopf zerbrechen kann: Lohnt die aufgebrachte Zeit und Arbeit, sowie das investierte Geld bei dem zu erwartenden Zuspruch überhaupt? Ist das Projekt finanziell zu stemmen? Kann man noch rechtzeitig die Reißleine ziehen? Die Absage des diesjährigen Shadowplay-Festivals wegen desaströsen Vorverkaufszahlen sei hier mahnendes Beispiel. Zeit aufzugeben? Oder mit einem unfreiwilligen Lenin-Zitat fragen „Was tun?“?

Eine mögliche Antwort lässt sich aus dem ständigen Strom des Neuen fischen. Wer mit wachem Auge diverse Erfolgsstorys in der Welt des Web 2.0 verfolgt hat, der wird mit dem Prinzip des „Crowd Funding“ und Plattformen wie Kickstarter vertraut sein. Just mit diesem Konzept wagt sich nun ein Duo an die Organisation des „Cold Insanity Festivals“ in Nürnberg. Eine Deadline ist vorhanden, die Summe bekannt und publik: Sollten bis Ende August im Vorverkauf 2400 Euro in die Kassen gespült werden, laut den Veranstaltern Olli „Cyberpagan“ Krapp und Markus B. 75% der Gesamtkosten, dann würde das für den 1. Dezember geplante Death- / Gothic-Rock-Festival stattfinden. Eine stattliche Summe, aber ein intelligentes Modell zur Bewältigung des Risikos durch Einbeziehung der Gäste. Ein Festival als Community-Projekt der mitteleuropäischen Gitarrengruft-Fans. Ähnlich wie bei Kickstarter bieten die Macher verschiedene Möglichkeiten, sich finanziell zu beteiligen. Natürlich gibt es für jeden Geldbetrag eine Gegenleistung. Neben dem Download-Festival-Sampler kann man den Live-Mitschnitt des kompletten Festivals als CD-Box oder Download vorbestellen, natürlich die Karten kaufen – wahlweise mit T-Shirt. Fans der auftretenden BandsS THE ETERNAL FALL, SIIIII, SQUISHY SQUID, THE LAST CRY und CHRISTINE PLAYS VIOLA können so am Crowd Funding teilhaben, auch wenn sie den Besuch des Festivals selbst nicht einrichten können. Eine weise Entscheidung. Noch liegt man erst bei 350 Euro (Stand 26. Juni), Krapp rechnet jedoch mit einem Anziehen der Verkaufszahlen in den nächsten Wochen. Sollte das Geld bis Ende August organisiert werden können, wird das Festival stattfinden. Wenn nicht, wird das Geld natürlich an alle schwarzgewandeten Event-Investoren zurückgezahlt. Schnell und sauber. Hoffen wir, dass es dazu nicht kommen muss.

Vielleicht erweist sich diese Form der Festivalfinanzierung auch in anderen Bereichen dieses Subkulturmischmaschs als wegweisend, da das Risiko beherrschbar wird, die Veranstaltung zum Projekt aller – auch der „nur“ finanziell Beteiligten wird. Eine Projektidentität, bei der jede gelungene Veranstaltung zum Abbau der Unlust am Veranstalten in den letzten Jahren führen könnte.

(AnP)

 

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