Compilations sind hinterhältig. Ihr Versprechen und ihre Versuchung und was am Ende davon bleibt. Compilations zusammenzustellen, dafür gibt es eine Unzahl von Anlässen und einige davon gehören, zumindest mit etwas Abstand betrachtet, nicht zu den großartigsten Ideen. Und die teilnehmenden Künstler müssen sich in der Rückschau geradezu in Notlagen oder speziellen Abhängigkeiten befunden haben, um an der fraglichen Zusammenstellung überhaupt teilgenommen zu haben: zu heterogen, zu wenig roter Faden ist nicht selten das Fazit, das nach dem Hören irgendeiner neuen Compilation übrigbleibt.
Was dann auch bleibt, sind die zwei, drei Rosinen, die noch von der schlechtesten Compilation im Ohr bleiben; der Rest versinkt im Vergessen. Fatal dabei: nicht in jedem Fall ist es die Qualität des einzelnen Stücks, die dabei entscheidet, sondern tatsächlich die der Zusammenstellung: wie die Stücke unterschiedlicher Interpreten zusammenpassen, ob eine Atmosphäre aufgebaut wird, Dynamik, etc. Es ist also alles andere als unrealistisch, dass Hörer(+in) allein aufgrund der schlechten, unpassenden, kein gemeinsames Ganzes formenden Zusammenstellung und ihren nicht funktionierenden Brüchen Stücke „überhören“, die, in einem anderen Zusammenhang, offene Ohren gefunden hätten. Dafür dann ein Stück hergegeben zu haben, ist dann natürlich besonders unglücklich (auf die Tatsache, dass auch von der anderen Seite, den Künstlern, nicht immer und in jedem Fall Top-Beiträge geliefert werden, will ich nur in dieser Form eingehen; das Thema Freud + Leid der Compilation ist lang und vielschichtig).
„Lost In The Humming Air (Music inspired by Harold Budd)“ ist die erste Compilation auf physischen Tonträger (CD), die auf dem Oktaf-Label, betrieben von Martin „Marsen Jules“ Juhls, erscheint und das Thema ist (natürlich) Harold Budd und sein Einfluss als Inspiration für die teilnehmenden Künstler: Harold Budd ist der 1936 geborene, amerikanische Pianist, der bereits als Kind einen ersten Sinn für Töne außerhalb der „normalen“ Musik entdeckte (so die Legende) und entsprechend später in der Experimentalszene ein zu Hause fand; dabei aber nicht in der noiseverhafteten Abteilung, sondern als Miterfinder dessen, was heute als klassischer Ambient gilt. Dass Harold Budd dann auch mit Brian Eno zusammenarbeitete (mehrfach), überrascht so nicht mehr wirklich. Der Hinweis, dass auch Kollaborationen mit den Cocteau Twins und später (und bis heute andauernd) mit Robin Guthrie (Ex-Cocteau Twins) folgten, gibt zusätzliche Hinweise, wie seine Musik zu verorten ist.
Dieser Harold Budd hat in der musikalischen Sozialisation von Martin Jules, zumindest zeitweise, eine erhebliche Rolle gespielt; ausreichend, um Jahre später dieses Projekt anzustoßen und hochkarätige Mitstreiter zu gewinnen: Deaf Center, die mit „Plateaux“ ein minimales Pianothema in Hallkathedralen tauchen und mit gemorphten Reflexionen konfrontieren; Loscil, „Rye Fields“, dunkler, flächiger, bis auch hier ein Pianothema beginnt, sich langsam aus dem Strom zu schälen; Martin Fuhs, dessen „Untitled.Eleven“ einen Sound weiterentwickelt, dessen Anfänge er unter dem Projektnamen Seconds In Formaldehyde erforscht hatte: lichtüberflutet helle Flächen in verführerischer Harmonik (und ganz ohne vordergründiges Piano); dann Biosphere, der mit dem minimalistischen „Det Var Kulmørkt Hjem“ überrascht und zeigt, welche Effektgeräteigenschaften das (ggf. auch elektronisch verlängerte?) Haltepedal des Flügels besitzt; Xela, der Mann hinter dem Type-Label, lässt „The Only Rose“ als ein unterschwellig rhythmisiertes Flächenbündel wachsen und in die Unendlichkeit driften; Marsen Jules geht mit „Sunrise On 3rd Avenue“ einen ganz ähnlichen Weg, verzichtet auf das Piano und setzt auf die Entwicklung einander verflechtender Harmonieströme aus denen sich eine zentrale Melodie entwickelt. …und am Ende allein gelassen wird; Andrew Thomas, orchestraler, mit Andeutungen von Rhythmus versteckt das Piano auf „Hushhh (Variation 2)“ in einer Fläche, die wie ein großbesetzter Chor aus weitester Ferne klingt, der zunehmend durch kleine Störteufel gezwickt wird; Mokira kleidet seinen „Harold Dubb“ (Nomen est Omen) in eine ebensolche (aber abstrakte Version dieser) Soundästhetik, die sehr starke Referenzen zum Berlinsound a la Basic Channel/ Chain Reaction aufweist, den Beat clevererweise aber einfach unterschlägt; Christopher Willits zieht die Regler nach diesem dynamischen Höhepunkt ganz zurück, das fast waldhornartige „Olancha Hello“ vereint tiefe Ruhe und Harmonie mit einem im flächenhaften Ambient nur selten in dieser Form ablesbaren, tatsächlich kompositorischen Ansatz (bezogen auf das tonale Arrangement); Taylor Deupree startet sein „Sleepover“ mit einer ähnlichen Stimmung, erweitert es aber durch Hallräume zunehmend zu einer gleichermaßen orchestralen wie angerauten Gesamtstimmung; Rafael Anton inszeniert „Irisarri – Gloaming“ als erweitertes Pianostück, Flächen und elektronische Einsprengsel in ehrfürchtigem Abstand zum Grand Piano (meist, zumindest); Porn Sword Tobacco nennt den eigenen Beitrag „Painting World War 3“, meint damit aber offensichtlich eine Coda auf den Schrecken, die ein diesem Titel völlig konträres Pianothema mit einzelnen Verunsicherungen unterläuft und es schließlich im wie statischen Rauschen klingenden Vinylknistern untergehen lässt…; bvdub & Criss Van Wey schließen „Lost In The Humming Air“ dann mit „My Father, My Friend“ ab, lichtüberströmt, mit eingebetten Chor, aber auch fast intim wirkender (nicht nur) Akustikgitarre, ein dynamischer Ritt zwischen Zurückhaltung, Aufbau und Höhepunkten, perfekter Abschluss.
„Lost In The Humming Air“ besitzt mit diesen dreizehn Beiträgen alles, was eine sehr gute Compilation ausmacht: einen triftigen Grund für ihr Entstehen und somit ein Konzept, das in der Lage ist, die teilnehmenden Künstler kreativ anzuregen (und nicht bloß Outtakes bereitzustellen). Künstler, die genremäßig eng genug zusammenstehen, um eine stimmungs- wie soundbezogen tendenziell durchgehende Atmosphäre erwarten zu lassen (und auch zu schaffen, letztlich) und eine Reihenfolge in den Beiträgen, die den Charakteristika der Einzelstücke Raum lässt und sie gleichzeitig einer Gesamtdynamik unterstellt. Im Ganzen homogener als manches Album eines Einzelkünstlers. Dabei dennoch abwechslungsreich. Und wenn das über eine Compilation gesagt werden kann, dann ist das ein Volltreffer.
(N)
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