HECQ Interview

… oder Bewältigungsphase mittels “Night Falls”

Pendelte das IDM-Projekt HECQ von Benny Boysen auf seinen bisherigen Veröffentlichungen geradezu genial zwischen zerhackten Beats, Click & Cuts und Soundrackscores, erfährt dieser abenteuerliche Fluß mit dem aktuellen Album “Night Falls” einen Bruch, welcher nicht atemberaubender sein könnte. Fast völlig ohne Beats und Störgeräusche, aber dafür mit ganz viel Atmosphäre und Moll-Akkorden verarbeitet Benny Boysen einen persönlichen Schicksalsschlag, der uns alle treffen kann, doch lest selbst:


? In unserem ersten Interview hast Du mir das HECQ-Prinzip wie folgt erläutert: “Es fällt mir sehr schwer Musik zu machen, die primär den Hörer anspricht, auch wenn das merkwürdig klingt. Es ist vielmehr so, dass ich andere gerne daran teilhaben lasse was mir gefällt und wenn das nun ein Stück ist, dass nur 30 Sekunden dauert und eine schönes Thema nur einmal zeigt, dann ist das eben so. Der cineastische Gedanke dahinter gefällt mir sehr gut, dass bestimmte Einstellungen und Perspektiven nur sehr kurz beleuchtet werden, auch oder besonders dann, wenn man sie länger hören möchte”. Nun bist Du ja schon bei dem vorletzten “0000”-Album etwas davon abgerückt, indem Deine Tracks da doch etwas länger sind und eine schöne Melodie bzw. einen Rhythmus länger beleuchten – ist dies eventuell ein Vorzeichen für eine leichte Aufweichung des HECQ-Prinzips bzw. ein Zugeständnis an den Hörer?

Nicht direkt – es ist eher eine Entwicklung, als eine Aufweichung und es ist nach wie vor so, dass ich primär das mache, was ich möchte. Genau das scheint aber recht gut zu funktionieren und insofern werde ich zunächst dabei bleiben. Der Beruf als Sounddesigner besteht aus permanenten Zugeständnissen, da Kunden- bzw. Regisseurswünsche meist im Vordergrund stehen und man nicht zu oft die Gelegenheit hat sich zu verwirklichen (um so schöner wenn ein Auftrag das erlaubt). Da ist es regelrecht befreiend, wenn man sich ganz auf die eigenen Ideen innerhalb eines Albums konzentrieren kann.

? Als erstes ist mir bei Deinem aktuellen Album “Night Falls” aufgefallen, das jenes diesmal keine Kollaborationsveröffentlichung mehr zwischen Kaleidoskop und Hymen ist, sondern alleinig von Hymen veröffentlicht und auch nicht mehr von Dennis Ostermann gemastert wurde – ist Hymen jetzt Dein richtiges Label und wenn ja, warum?

Ja, Hymen ist schon zum “zu Hause” geworden, aber wie das genau mit dem Katalognummern-Splitting gehandhabt wird, weiß ich allerdings nicht so wirklich. Was das Album-Konzept angeht: Der Grundgedanke ist bei “Night Falls” ein anderer als bei den bisherigen Veröffentlichungen – sehr persönliche Motivationen und Ideen waren die Triebfeder für das ganze Release. Das kommende Album ist allerdings jetzt schon mit großartigen Remixen und Kooperationen bedacht, über die ich mich sehr freue!

? Die zweite große Veränderung und Überraschung war der ungewohnte ambiente ruhige Sound Deines neuen Albums “Night Falls”, der sich doch sehr von seinen Vorgängern unterscheidet – welche Ereignisse, Einflüsse und Überlegungen führten zu dieser Richtungsänderung und warum ist das Album Deinem Vater gewidmet?

Tatsächlich ist die Hauptmotivation für “Night Falls” mein persönliches Andenken an meinen Vater, der im letzten Jahr verstarb. Er war schärfster Kritiker und auch lange Zeit “Mentor” in Sachen musikalische Bildung für mich und ich habe viel von ihm lernen können. “Night Falls” ist tatsächlich das Ventil dieser Ereignisse, ein Resümee der vergangenen Jahre und ein Prolog zu dem was ab jetzt kommt. Zu dem, was ich aus dem Gelernten machen kann, aber ein langfristiger Richtungswechsel ist dies nicht! Das Herz hängt dafür zu sehr an dem was vom IDM noch übrig ist (abgesehen von dem eher schlechten Ruf des Begriffs).

? Denkst Du, dass Dein Vater als Dein größter Kritiker mit “Night Falls” zufrieden gewesen wäre oder wäre dieses Album ohne dessen Tod nie in diese Richtung gegangen?

Es wäre gar nicht erst entstanden. Das Album ist das Ergebnis einer klassischen “Bewältigungsphase” und ich merke dadurch auch, wie mein Gefühl ein anderes war und ist. Ich denke gar nicht viel darüber nach, wie es wohl ankommt oder wie es sich verkauft oder ähnliches. Mir war es wichtig, diese Umsetzung/Filterung meiner Erfahrungen weiterzugeben. Auch habe ich nicht viel darüber nachgedacht, was die Reaktion meines Vaters gewesen wäre. Er hätte sicherlich sowohl gutes wie auch kritisches zu sagen gehabt und das habe ich nach vielfachen hören auch –  da komme ich sehr nach ihm. Es ist ein Tribut, eine Dankeschön, wenn man so will und daher ist es in meinen Augen frei von normalen Bewertungen – zumindest zwischen den betreffenden Personen und der Hörer darf und soll sich natürlich kritisch befassen, denn das ist wichtig.

? Eine sehr persönliche Frage ist, ob man mit Musik wirklich so ein Ereignis wie den Tod des eigenen Vaters verarbeiten kann – wie sind da Deine ganz eigenen Erfahrungen damit… wenn man fragen darf?

Es ist ein Teil der Bewältigung, aber alles bekommt man dadurch natürlich nicht hin. Wir hatten das Glück immer im Gespräch gewesen zu sein und somit stand nichts Unausgesprochenes im eigentlichen Sinne zwischen uns und man konnte Abschied nehmen. Die Arbeit an “Night Falls” hat mir schon eine große Last von den Schultern genommen, da Musikmachen für mich das Mittel ist, mich auszudrücken und mir auch Wege eröffnet, mir auf andere Arten Gedanken zu machen. Das Gedicht auf dem Albumcover habe ich mal von meinem Vater in einer Email geschickt bekommen – es drückt die unterschiedlichen Empfindungen dieser Abschiedsprozesse auf eine sehr gute Art und Weise aus, die man im Grunde nur für sich sprechen lassen kann.

? Eine weitere Auffälligkeit ist Dein neues Logo, welches sehr trendy-stylisch im aktuellen Totenkopf-Design daherkommt und recht untypisch für ein Electronica-Projekt scheint – was möchtest Du mit diesem neuen Logo ausdrücken und warum gibt es das noch nicht als T-Shirt bei Hymen?

T-Shirts… gute Frage – darum sollte ich mich mehr kümmern. Das Logo an sich soll sich ganz bewusst von Erwartungen der Szene abgrenzen (obwohl es gerade wieder leicht geändert wird…). Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sehr schnell kategorisiert wird, das Hörer sich sehr schnell an bestimmte Release und deren Klang haften (ist bei mir selbst nicht anders). Jedoch ist es mir wichtig dabei keinen Erwartungen gerecht zu werden. Ein wenig verhält es sich auch so mit dem Logo. Auch wenn es schwer ist nicht zu kategorisieren, möchte ich versuchen, so gut es geht das Gegenteil von dem zu tun, was eventuell erwartet wird.

? Vor “Night Falls” hast Du eine CD-R namens “Golden Pines” veröffentlicht – in welche Richtung geht denn dort Dein Sound und wie denkst Du eigentlich über dieses DIY-Medium als Tonträger?

Zunächst wollten wir “Golden Pines” als reines Web-Release veröffentlichen, aber Robert von Binkcrsh hatte ein gute Idee nach der anderen (erst die DVD-Hülle, dann die komplett schwarzen CD-Rs, dann der Sticker etc. etc.), so dass es uns als eine gute Idee erschien, “Golden Pines” als extrem limitierte Edition zu veröffentlichen. Insgesamt haben wir 60 Kopien gemacht, die auch schnell ausverkauft waren. Stilistisch ist da eine echte Bandbreite vorhanden – von eher dubbig/perkussiven Tracks (“Ghosts”) bis zu “klassisch” frickeligen” Tracks (“Golden Pines”). Besonders hervorzuheben sind die Remixe und ich war wirklich überrascht und erfreut über die Beiträge, da sowohl LACKLUSTER als auch BLAERG zu meinen Lieblingskünstlern gehören. Alle Remixer haben sich sehr ins Zeug gelegt und das Ergebnis, das möchte ich in aller Bescheidenheit so sagen, kann sich mehr als hören lassen. Was das Format angeht, so fand ich es lustig eine CD-R zu machen, da einem solchen Release immer das “undergroundige” Feeling eines Tapes oder einer Demo anhaftet, welches man unter der Ladentheke oder von eine Freund zugesteckt bekommt. Auch der Seltenheitswert ist schön. Grundsätzlich ist es aber keine langfristige Alternative für mich persönlich, da ich dem Standard einer gepressten CD/12” zu viel abgewinnen kann. Insofern wird es sicher noch einige dieser Releases geben, aber sie werden die “normalen” Veröffentlichungen nicht ablösen.

? Auf Minuswelt hast Du als HECQ inzwischen schon zwei komplette Alben von IN STRICT CONFIDENCE und eines von PZYCHOBITCH geremixt – wie sind diese Experimente mit etwas Abstand betrachtet bei den Fans angekommen und wird es davon in absehbarer Zeit eine Fortsetzung geben?

Die HECQ-Destruxxions waren für mich wirklich schöne Experimente, für welche ich Dennis sehr dankbar bin. Vor allem auch deswegen, da es auch aus seiner Sicht sehr mutige Projekte waren, die schnell zum Schuss in den Ofen hätten werden können. Da ich mich grundsätzlich wenig um Verkaufszahlen kümmere bzw. einfach wenig mit ihnen zu tun habe, weiß ich nicht genau wie es auf dieser Seite aussieht – die reinen Publikumsreaktionen waren jedoch sehr gut, auch (oder vielleicht sogar gerade) weil solche Kooperationen die Lager spalten. Im Moment sind keine weiteren Destruxxions geplant, auch wenn ich mit anderen Bands schon mal darüber nachgedacht habe, was aber scheiterte, weil es den Labels zu heikel war. Generell sage ich, dass es mehr Labelchefs wie Dennis geben sollte, die sich auch so etwas zumuten – es würde sich ganz allgemein (und gar nicht mal auf HECQ-Destruxxions bezogen) auszahlen.

? Auf Deiner Homepage ist ersichtlich, dass Tracks von HECQ in der Werbebranche Verwendung finden – lohnt das sich finanziell bei dem Überangebot von musikalischen Auftragsarbeitern noch?

Ja, das lohnt sich! Nicht unbedingt die reinen Sublizenzen alleine, aber seine Fähigkeiten in den Dienst des Designs zu stellen auf jeden Fall. Sounddesign wird bzw. ist mittlerweile auch der zweite große Schwerpunkt für mich neben der Musik geworden.

Meine Alben waren immer Output meiner jeweiligen Ideen bzw. auch die Möglichkeit, den Fokus von der rein musikalisch-künstlerischen Ebene in den kommerziellen Kontext zu stellen, was auch der persönlichen Arbeit an den Alben eine ganz neue Perspektive gegeben hat. Die meisten kommerziellen Arbeiten sind ja dann doch exklusiv für das jeweilige Projekt geschrieben und oftmals auch höchst unterschiedlich von dem was ich auf Alben veröffentlichen würde, aber man lernt völlig neue Techniken, Arbeitsweisen und Prioritäten kennen, welche man für die eigene, persönlichere Arbeit gut gebrauchen kann.

? In unserem letzten Interview im BLACK 38 waren Deine Pläne, verstärkt mit anderen Künstlern zusammen zu arbeiten – was ist daraus eigentlich geworden oder meintest Du damit die jeweiligen Track-Kollaborationen mit L’OMBRE, Daniel Myer, GINORMOUS und SNOG auf Deinen letzten zwei Alben?

Ich bin immer an der Arbeit mit anderen Künstlern interessiert – insbesondere an denen aus anderen musikalischen Bereichen bzw. auch an der Arbeit mit (meinen) Vorbildern. Das wird auf dem kommenden Album auch verstärkt stattfinden, wo ich schon Remixe von mir sehr geschätzten Kollegen sichern konnte. Schön an den Kooperationen auf “0000” fand ich, dass gerade Musiker wie GINORMOUS und SNOG eine ziemlich andere Schiene fahren als ich es tue und das ist dann besonders reizvoll für mich, da sich hier die spannendsten Kontraste abzeichnen. Für das kommende Album stehen also demnach noch mehr dieser “Gemeinschaftsarbeiten” an – das ist sicher.

? Zur Zeit unseres ersten Interviews hattest Du gerade Live Dein Debüt auf dem Maschinenfest gegeben und inzwischen wirst Du ja sicher noch so einige Auftritte absolviert haben – sind Dir davon welche in besonderer Erinnerung geblieben und hat sich im Laufe der Zeit an Deinem Konzept etwas geändert?

Ich spiele nicht übermäßig viel Live um ehrlich zu sein… ich bin eher der Zuhörer, wenn es um Gigs geht. Allerdings erinnere ich mich sehr gerne an den Auftritt auf dem “Planet Myer Day” im letzen Jahr, auf dem ich mit Daniel parallel bzw. mit ihm auf einer Bühne spielte. Das war wirklich toll, vor allem da das Publikum (ähnlich wie auf dem “Maschinenfest 04”) wirklich gut drauf war – das war ein großer Spaß!

? Was sind jetzt Deine Pläne nach “Night Falls”?

Ich werde mich verstärkt auf Sounddesign konzentrieren, da auch hier einige langfristige Projekte anstehen. Mit dem nächsten Album werde ich mir ein wenig Zeit nehmen – so lange wie nötig und so kurz wie möglich.

? Zum Abschluß wie immer die Frage nach Deinen musikalischen All Time Top 5 bzw. aktuellen Lieblings-Alben?

Ohne bestimmte Reihenfolge: DOPPLEREFFEKT “Calabi Yau Space”, DEAF CENTER “Vintage Well”, James Blackshaw “Litany Of Echoes”, POOMA “Persuader” und Tobias Lilja “Time Is On My Side”.

? Ich danke Benny Boysen für dieses Interview und wünsche für die Zukunft alles Gute. Des weiteren geht Dank an Ant-Zen/Hymen für ihre Unterstützung.

– M. Fiebag –

Diskografie

2003 – “A Dried Youth” (CD) – Kaleidoskop

2004 – “Scatterheart” (CD) – Kaleidoskop/Hymen

2005 – “Bad Karma” (CD) – Kaleidoskop/Hymen

2007 – “0000” (2CD) – Kaleidoskop/Hymen

2007 – “Zetha” (12”) – Onpa

2008 – “Golden Pines” (CD-R) – Binkcrsh

2008 – “Night Falls” (CD) – Hymen

Vertrieb: Hymen / Ant-Zen
Mailorder: Going Underground
 

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