„Festivals end as festivals must.“ Irgendwann in den frühen Morgenstunden des 1. April verabschiedete sich der jährlich in Altenburg stattfindende ELEKTROANSCHLAG (EA) vorerst aus den Kalendern der deutschen Industrial-Szene. Ohne Übertreibung kann man sagen, dass er zusammen mit dem Maschinenfest, dem Forms of Hands, dem Berliner Schlagstrom-Festival und dem polnischen Wroclaw Industrial Festival zu den wichtigsten Treffpunkten in diesem Bereich gehörte. Die Besonderheit: das Team bot vor allem unbekannten Projekten eine Bühne, in manchen Fällen gar ein Sprungbrett. Seit acht Jahren veröffentlicht der Trägerverein R-REGER außerdem umfangreiche Festival-Sampler, die zur „Final Edition“ mit einer monumentalen 6-CD-Ausgabe ihren Höhepunkt fanden. Zeit für eine Rückschau.
Ausgang und Transformation: Von der Party zum Festival
Die ersten drei Ausgaben des ELEKTROANSCHLAG hatten – einmal von den Veranstaltern abgesehen – mit dem heutigen Festival wenig gemein, handelte es sich doch um reine Partys ohne Live-Auftritte im thüringischen Altenburg. Eine Veranstaltung von Freunden für Freunde (der Musik). Reines Djing wollte nicht mehr ausreichen, so dass am 5. April 2003 erstmals Live-Bands in das Programm aufgenommen wurden: PAL, DIGITAL FACTOR, REVOICE und die seitdem auf jeder Ausgabe vertretenen HEIMSTATT YIPOTASH.
Aus vier wurden sechs wurden sechzehn Acts. Das Line-Up wuchs jährlich und führte 2005 schließlich zu einer Ausweitung des Festivals auf die gewohnte Zwei-Tages-Form am letzten März- oder ersten April-Wochenende eines Jahres. 2005 erschien auch der erste Festival-Sampler mit Beiträgen der bis dato aufgetretenen Künstler. Der ELEKTROANSCHLAG hatte seine Form gefunden, auf dem Flyer des nächsten EA traten die DJ-Sets auch visuell in den Hintergrund. Die Party Transformation zum Festival war abgeschlossen.
Behind the Scenes
Noch vor den ersten ELEKTROANSCHLÄGEN wurde der Verein R-REGER von einem Freundeskreis aus der Taufe gehoben, die eine gemeinsame Plattform für die Organisation von Veranstaltungen schaffen wollten. Obgleich sich der ehrenamtliche Verein in den letzten Jahren auf die Ausrichtung des EA konzentriert hat, war dem nicht immer so. Jenseits dessen wurden Lesungen (z.B. von Max Goldt), Partys und Konzerte veranstaltet. R-REGER war jedoch nicht nur dem Selbstzweck verpflichtet. Man verstand sich viel mehr als Kulturnetzwerk und wollte kreative und interessierte Menschen in der Region um Altenburg vernetzen und diesen mit der mittlerweile verwaisten Vereinshomepage einen virtuellen Hafen geben. Aus diesem Selbstverständnis erklärt sich auch der an das eigene Festival gebundene Anspruch, Bekanntes mit Unbekanntem zu verbinden – den Horizont zu erweitern, Brücken zu bauen.
Brückenbauer
Kaum ein Festival in diesem Bereich hat sich derart der „Nachwuchsförderung“ verschrieben. So traten neben bekannte Namen wie AH-CAMA SOTZ, KLANGSTABIL, MONOLITH, PAL, SANCTUM, WINTERKÄLTE , MIMETIC oder ABSOLUTE BODY CONTROL immer wieder Neulinge und Künstler, die mangels Vertrieb durch die größeren Szene-Labels oder ihren gänzlich anderen Hintergrund durch das Wahrnehmungsraster der Szene gefallen sind. So fanden z.B. 100BLUMEN, NÄO und TWINKLE bei Ant-Zen oder TALVEKOIDIK bei Hands Productions eine neue Heimat, während sich andere über Bookings und neue Kontakte freuten. Von Rhythm´n Noise über Old-School-Industrial über IDM zu Filmmusik zu Minimal Electro, PowerElectronics und PostRock deckte das Line-Up ein beachtenswertes musikalisches Spektrum ab und ließ manchen Newcomer alteingesessenen Bands die Schau stehlen. In Sachen Headliner wurde auch nicht gespart. ESPLENDOR GEOMETRICO gaben zum Beispiel nach langjähriger Pause ihren ersten Auftritt in Deutschland.
Besonders hervorgehoben wurde in den Berichten der letzten Jahre immer wieder die familiäre Atmosphäre, das gerade besungene vielschichtige Booking und die professionelle Arbeit des gesamten Vereins. Letztere trat besonders deutlich im Katastrophenjahr 2009 zum Vorschein: Fünf Tage vor Festivalbeginn brannte die bisherige Heimstatt „Kanonehaus“ nieder. Anstatt abzusagen, setzte man alles in Bewegung um das Festival durchführen zu können – was gelang. Eine unter dem gegebenen Zeitdruck mehr als beachtenswerte logistische Leistung. Menschen aus aller Herren Länder trafen hier zusammen, um ihrem Spaß an nicht immer leicht verdaulicher Musik zu frönen. Einzig die Nachwuchsförderung des Publikums stagnierte in den letzten Jahren, was weniger den Veranstaltern sondern einer grundsätzlichen Entwicklung zuzuschreiben ist. Während horizontale Brücken gebaut wurden und weiterhin werden, sieht man sich mit einem tiefen Loch zwischen den Generationen konfrontiert. Das Publikum altert mit seinen Helden mit, was angesichts der feilgebotenen und eigentlich nachwievor hochaktuellen Musik nicht nur in Altenburg den faden Beigeschmack des Vergänglichen hinterlässt.
Final Edition
Mit der Ankündigung des 13. ELEKTROANSCHLAGs im Jahr 2011 überraschte man mit dem Hinweis, dass es sich um die „Final Edition“ handeln würde. Ein letztes mal sollten sich Künstler aus aller Welt in der sich seit drei Jahren bewährenden Location im Keller der Altenburger Brauerei versammeln. Menschen und Interessen verändern sich und bei aller Freude darf man nicht vergessen, wie viel Arbeit ein Festival dieser Größe von den zahlreichen Helfern abverlangt, die den reibungslosen Ablauf garantieren. Ermüdungserscheinungen überraschen nicht. Dennoch und gerade deswegen war dieses vorerst letzte Wochenende in Altenburg brilliant. Von den ersten Rhytmen von HEIMSTATT YIPOTASH (Tradition, versteht sich!) bis zum letzten Quietschen von SONAR und einem DJ-Set von Thedi (KIEW) und Mirko (SPHERICAL DISRUPTED) dran. kam es ein letztes mal zu großen Verbrüderungsszenen, Rhabarber-Likör-Massakern und unzähligen kleinen Momenten, die ein solches Wochenende ausmachen. Weil ich selber mit meine Band aufgetreten bin, möchte ich mich nicht allzusehr in Details verrennen oder mir gar eine Bewertung der einzelnen Konzerte anmaßen. Dennoch: selten habe ich ein an Höhepunkten so reiches Wochenende verbracht, bei denen neben „Klassikern“ wie SONAR, SYNAPSCAPE, CONTROL, LA NOMENKLATUR, LARVAE, PAL, JOB KARMA, EMPUSAE oder ROGER ROTOR auch viele neue und oder weniger bekannte Gesichter wie TALVEKOIDIK, die brillianten NÄO, OBJEKT.URIAN, WIELORYB, BEINHAUS, CHRYSALIDE oder eben wir – M.A.O. – gesellen durften. Die mit Kümmel zubereiteten „Fettschläuche“ (=Bratwürste) sind übrigens gut, um den vom Bier zu sehr malträtierten Magen auf Vordermann zu bringen, ebenso das mittlerweile legendäre Sellerie-Schnitzel.
Das Loch, das bleiben wird
Wer die Entwicklung der letzten Jahre mit wachem Auge verfolgt hat, dem wird aufgefallen sein, dass sich manche Musikgenres nur noch in wenigen Live-Enklaven vertreten sind. Als eine der größten hinterlässt der ELEKTROANSCHLAG ein schwer zu füllendes Loch, wie auch das familiäre Zusammenkommen nicht nur mir sehr fehlen wird. Danke an R-REGER für diese schöne Zeit!
(AnP)
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