Es ist immer wieder erstaunlich, zu welcher Musik Menschen mit Hardcore und/ oder Punk-Hintergrund irgendwann finden. Marc Euvrie gehört zu denen. Vor einem tieferen Blick in seine Soloarbeiten sei aber richtigerweise auch gleich gesagt, dass er parallel ebenso im Metal-Duo KARYSUN für Gitarre und Gesang zuständig ist. Ausdrucksform, die seiner musikalischen Vergangenheit, zumindest auf den ersten Blick, sicher näher liegen sollte als die seiner komplex(er) instrumentalisierten und arrangierten Arbeiten als THE EYE OF TIME.
THE EYE OF TIMEs erstes Album „After Us“ erscheint irgendwann 2006, nach ersten Veröffentlichungen mit SUGARTOWN CABARET, aber noch vor seinen ersten Arbeiten mit KARYSUN auf CDR. „Jail“, das zweite Album dann 2010 als CD. „Lily On The Valley“ ist THE EYE OF TIMEs dritte Veröffentlichung und in der hier vorliegenden, opulent ausgestatteten Doppel-CD mit 30seitigem Booklet oder sogar als 3LP mit ebenso dickem, dann aber im 10“-Format gehaltenen Booklet erhältlich (als Triptychon; mit den beiden Vorabplatten). Das in Zusammenarbeit von Marc Euvrie und Thomas Hack entstandene, ebenso opulente wie düstere Artwork stellt schlaglichtartig Szenen heraus, die in ihrer bildhaften Aussage Apokalypse, Schmerz, Verlorenheit, Bedrohung und grausame Veränderung ausstrahlen. Der trotz verbindender graphischer Ästhetik (so gewollte) harte Wechsel dieser Bilder, ihre Anordnung allein auf ihrem jeweiligen Blatt, passt dabei sehr gut zu einem musikalischen Programm, das von fragmenthaft kurzen Stücken bis zu die 10 Minuten nur knapp verfehlenden, von durch Rhythmik fast gebrochenen bis zu atmosphärisch angelegten Tracks reicht.
THE EYE OF TIME collagiert dabei Stilmittel aus Broken Beat, Ambient, Drone, Drum ’n‘ Bass, Modern Classical, Experiment (+ mehr) und fügt diese zu ganz im Gegensatz dieser Fülle der Stile vollkommen flüssigen, fokussierten Stücken, die zwar alle ohne Gesang auskommen (müssen), durch ihre Melodiesetzungen bzw. Arrangements aber zu jeder Zeit so sehr wie (epische) Songs wirken, dass man in der Rückerinnerung, nach dem Hören fast schwören möchte, dass da, zumindest irgendwo, doch Gesang gewesen ist (der aber, natürlich, in keiner Weise vermisst wird; spätestens die Titelnamen verraten, worum es geht). Alle drei Teile, von „After Us“ bis „Lily On The Valley“ bilden dabei so etwas wie drei Kapitel mit einer sich in Details unterscheidenden Geschichte. Ihr Zusammenhalt innerhalb der einzelnen Kapitel, aber auch als Ganzes, untereinander, ist jedoch von einer Stärke, die dies alles, trotz der Gesamtlänge, zu einem unglaublich abwechslungsreichen wie atmosphärisch kohärenten Werk zusammenfasst.
Und: der Sound. In vielen Fällen sind es gerade die, die Grenzen von Filmmusik streifenden Acts, die dazu neigen, Einzelsounds den puristisch-rauen Klang zugunsten eines großen Gesamten wegzuproduzieren. Marc Euvrie tut dies nicht. Und die Vermutung liegt nahe, dass dies seiner Erfahrenheit mit kompromisslos rauen Sounds in anderen Gefilden geschuldet ist. Und seiner Beschäftigung mit dem Cello, das als Einzelinstrument mit dunkel angerissenem Sound einer der Klangpfeiler auf „The Eye Of Time“ ist.
Perfekte Ode in wütender Trauer mit einer Art von nihilistischen „ich werde daran dennoch nichts ändern können“-Gestus als ständigem Begleiter. Und ich denke genau das ist es, was THE EYE OF TIMEs Ansatz dieser fast filmischen Musik so deutlich abhebt von ähnlichen Vertretern. Und, auch in diesem Fall, ist dies möglicherweise ein Verdienst seiner musikalischen Vergangenheit. Nur eben hier (mittlerweile) mit ganz anderen Mitteln umgesetzt. Daher: unbedingt selbst probieren.
(N)
Format: 2CD/3LP |
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