Gleichgültig ob als Homunkulus, Golem oder mechanischem Automatenmensch: der Traum von der Erschaffung eines künstlichen Menschen ist fester Bestandteil des Zivilisationsprozesses. Aber erst die in den letzten Jahren gemachten Fortschritte der Robotertechnik haben es ermöglicht, dass jener Traum annähernd Wirklichkeit wird.
Der Entwicklungsgeschichte des Roboters spürt nun der Münchener Filmemacher Martin Hans Schmitt in seinem Dokumentarfilm ROBOT WORLD nach und setzt damit den 2008 mit dem Film HIGHWAY WORLD begonnen Zyklus Technik & Geist & Evolution fort. Schmitts Filmessay präsentiert keine detaillierte Geschichte des Roboters, sondern eine virtuos komponierte Collage, die aus über 120 Stunden Rohmaterial herausdestilliert wurde. Dabei verwendet Schmitt vor allem Video- und Werbefilme, die von einschlägigen Forschungseinrichtungen sowie der Roboterindustrie produziert wurden. Als nonverbaler Dokumentarfilm konzipiert, verzichtet ROBOT WORLD auf jeglichen Kommentar und setzt allein auf die Macht von Bild und Musik. So entstehen für den Betrachter Freiräume, die er mit seinen eigenen Assoziationen und Reflexionen füllen kann, er geht sozusagen mit den Bildern und der Musik eine Verbindung ein, wird aktiver Teil des Films, statt nur passiver Konsument zu sein. Mit seiner Herangehensweise reiht Schmitt sich bewusst in eine besondere Tradition des Dokumentarfilms ein, an deren Anfang Walter Ruttmanns Berlin: Die Sinfonie der Großstadt aus dem Jahr 1927 steht. Er versteht seine Ästhetik auch als eine Kritik an aktuellen Formaten der Fernsehdokumentation, die durch ihre geschwätzige, alles erklären wollende Machart den Zuschauer in ein Rezeptionskorsett schnüren und keine interpretatorischen Spielräume mehr zulassen.
ROBOT WORLD erzählt die Evolution des Roboters in sechs Akten: Schwingungen, Räume erkunden, animalisch, Produktion & Sprechen, Kinderspiele sowie Krieg und Penetration. Stehen am Beginn der Entwicklung noch einfache Roboterarme mit begrenztem Aktionsradius, haben heutige Modelle gerade in der Nachahmung menschlicher Bewegungsabläufe einen gleichermaßen faszinierenden wie erschreckenden Grad an Perfektion erreicht. Zum Wohle des Menschen kann der Roboter Ersatzmensch werden: als helfende Hand in Medizin und Pflege, als Spielgefährte, als genügsames Haustier. Auch kann er den Wirkungskreis des Menschen erweitern, indem er in für diesen existentiell gefährliche Bereiche vordringt, etwa bei der Erkundung fremder Planeten oder der Arbeit in der Todeszone eines havarierten Reaktors. Doch wie nahezu alle technischen Erfindungen hat auch der Roboter seine Kehrseite: so hat sein Einsatz in der Industrie Zehntausende um den Lebensunterhalt gebracht, und als fliegende Drohne spioniert und tötet er für die Militärs. Diese Ambivalenz schwingt auch in ROBOT WORLD unterschwellig mit und muss vom Zuschauer mitgedacht werden: schließlich kann niemand dafür garantieren, dass die schöne Roboterwelt nach einem Kurzschluss nicht zu einem Albtraum a la WESTWORLD mutiert.
ROBOT WORLD macht vor allem deutlich, wie sehr Roboter bisher noch abhängig sind vom Input des Menschen. Momentan befinden sich Mensch und Roboter, was ihre Fähigkeiten anbelangt, in einem Zustand der Annäherung. Doch sobald künstliche Intelligenz und Robotertechnik eine erfolgreiche Verbindung eingehen sollten ist damit zu rechnen, dass die Roboter den Menschen überholen und als autonome Wesen agieren werden. Ferner sind Entwicklungslinien denkbar, in denen Mensch und Roboter biotechnologisch erzeugte Symbiosen eingehen, die den Homo Sapiens auf eine neue Stufe führen können. Schmitt allerdings verzichtet bewusst auf die Darstellung zukünftiger Perspektiven, sondern überlässt dies der Imaginationsfähigkeit des Zuschauers.
Eingebettet ist die Bildcollage in die Musik des Violinisten und Komponisten Matt Howden, der vor allem durch sein Bandprojekt SIEBEN sowie die langjährige Zusammenarbeit mit Tony Wakeford bekannt geworden ist. Statt einer elektronischen Klanglandschaft in der Tradition von KRAFTWERK, wie sie sich beim Thema des Films fast zwangsläufig aufzudrängen scheint, hat Howden eine klassisch instrumentierte Kammermusik geschaffen, die durch ihr Wechselspiel von Klavier und Streichern die besondere Dramaturgie des Films aufnimmt und verstärkt. Howdens Musik vermag es, den agierenden Robotern eine Seele und somit Individualität zu verleihen: Wenn etwa ein Marsrover am Horizont des roten Planeten verschwindet, einsam und allein in einer unwegsamen Steinwüste, dann findet sich darin, in kosmischen Zusammenhängen gedacht, auch etwas von der Verlorenheit seines Schöpfers wieder. Die Melodieführung Howdens ist oftmals den Bewegungen der Roboter angepasst, wodurch den Maschinen eine zauberhaft-tänzerische Anmut verliehen wird – unwillkürlich fällt einem das Raumschiffballett aus Stanley Kubricks 2001 ein.
Im Zusammenspiel von Bild und Musik ist Schmitt eine anregende, manchmal auch anrührende Meditation über das Leben der Roboter in der Epoche ihres Aufbruchs gelungen, die den Zuschauer sensibilisiert für die Möglichkeiten, die der Robotertechnik als einer Zukunftstechnologie innewohnen. ROBOT WORLD wird den Dokumentarfilm zwar nicht revolutionieren, aber er führt vor Augen, über welches ästhetische und künstlerische Potential dieses Genre verfügt.
(M. Boss)
Format: DVD |
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